Hannover (dpa) - Nach dem kontrovers diskutierten Ausstieg von ARD/ZDF aus der Live-Berichterstattung der Tour de France stehen auch andere Radsport-Veranstaltungen auf der TV-Kippe.
Die ARD-Intendanten werden «zeitnah» über einen möglichen Live-Verzicht auf die Deutschland-Tour vom 10. bis 18. August und auf das Pro Tour-Rennen «Vattenfall Cyclassics» am 19. August in Hamburg beraten. Auf einer Schaltkonferenz fiel am 20. Juli keine Entscheidung. Die TV-Rechte liegen in beiden Fällen beim Ersten. Das ZDF hat die Federführung für die Straßen-WM vom 26. bis 30. September in Stuttgart.
Die ARD-Intendanten bekräftigten ihre Position zum Tour-Ausstieg, schlossen aber einen generellen Boykott von Sport-Großereignissen wie etwa Olympische Spiele bei neuen Doping-Fällen aus. «Die Entscheidung für einen Ausstieg der Tour de France trägt der besonderen Situation des Profi-Radsports Rechnung und stellt deshalb kein Präjudiz für die Live-Berichterstattung von anderen Sportereignissen oder Sportarten dar», sagte der Stellvertretende ARD-Vorsitzende Thomas Gruber. Auch das ZDF wollte von einer «Leitentscheidung» nicht sprechen.
«Natürlich nimmt der Druck auf uns jetzt zu. Aber es gibt kein festes Szenario, wie wir uns verhalten werden. Jeder neue Doping-Fall muss gesondert behandelt werden», erklärte ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz. ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender hatte in der Talkshow von «Maybrit Illner» einen TV-Verzicht auf Olympia 2008 in Peking abgelehnt. In der Sendung hatte unter anderem Rad-Profi und Doping-Beichter Jörg Jaksche über Doping-Praktiken mit chinesischen Kindern und Jugendlichen berichtet.
Nach dem spektakulären Ausstieg von ARD/ZDF und dem umstrittenen Einstieg von Sat.1 fühlt sich Eurosport als Gewinner im Tour-TV-Streit. Der Spartensender konnte bei der Übertragung der elften Etappe seine Zuschauerzahl mit durchschnittlich 957 000 auf das Dreifache gegenüber den Vortagen steigern. Der Marktanteil lag bei 8,9 Prozent. «Die Zuschauer, die von ARD/ZDF gekommen sind, sind bei uns geblieben», sagte eine Eurosport-Sprecherin. Sat.1 erreichte bei der Tour-Premiere am Donnerstag dagegen nur 500 000 Radsportfans (4,7 Prozent). Der Privatsender hatte die Etappe kurzfristig ins Programm genommen.
ARD/ZDF kamen während der ersten neun Etappen auf einen durchschnittlichen Marktanteil von 13,5 Prozent. Damit übertrafen sie nach Angaben von media control sogar den Vergleichswert aus dem Vorjahr (13,0 Prozent). Meistgesehene Tagessendung war bisher mit 2,42 Millionen die Bergetappe zwischen Le Grand Bornand und Tignes bei der ARD am 15. Juli. Auf der Etappe trug T-Mobile- Fahrer Linus Gerdemann das Gelbe Trikot.
Einen Wiedereinstieg in die Tour-Berichterstattung schlossen ARD und ZDF aus. Am 20. Juli befanden sich 70 Prozent der ARD-Mannschaft bereits auf dem Heimweg. Die Doping-Redaktion blieb allerdings in Frankreich. Das Sat.1-Engagement stieß auf ein geteiltes Echo. Neben Zustimmung im Ausland gab es Kritik vor allem in Deutschland. Für den Medienexperten Josef Hackforth von der TU München ist der Vorgang ein Beweis, dass es keine Solidarität unter Medien gibt.
«Aber die Ware Sport ist so wichtig für Sat.1, die ja ansonsten kaum noch Sportrechte haben, dass sie jetzt die Chance nutzen und sozusagen stellvertretend einspringen», sagte der Leiter der deutschen Journalistenschule im Sport1.de-Interview. Sat.1 hat die Sublizenzen vom französischen Rechteinhaber A.S.O. erworben. Das Zeitfahren am 21. Juli, das ursprünglich das ZDF zeigen wollte, wird von ProSieben übertragen. Auf Sat.1 läuft der Fußball-Ligapokal.