Hamburg (dpa) - Der Radsport hat durch die Doping-Enthüllungen bei der Tour de France auch den letzten Rest an Glaubwürdigkeit verspielt.
«Die Tour sehe ich nicht mehr am TV. Das ist nur noch eine Farce und der reine Zirkus.» Der frühere Handball- Nationalspieler Stefan Kretzschmar hat die Nase voll von der Tour. Für den Rostocker Schwimm-Profi Thomas Rupprath steht fest: «Die Wertigkeit für diesen Tour-Sieg ist gleich null. Der Radsport braucht die Rote Karte.»
Tour-Abbruch, Absage der Deutschland-Tour und der Weltmeisterschaften im September in Stuttgart - der Ruf nach harten Konsequenzen wird immer lauter. Peter Danckert, Vorsitzender des Sportausschusses im Deutschen Bundestag: «Wenn ich es allein entscheiden müsste, würde ich die Tour abbrechen.» Die aktuellen Dopingfälle bei der Tour de France haben das Fass zum Überlaufen gebracht.
«Der Radsport ist zu retten, wenn er bereit ist, sehr einschneidende Maßnahmen ohne Tabu zu ergreifen», sagte Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), der Deutschen Presse-Agentur dpa. Auf die Frage, ob er sich auch einen Tour-Abbruch vorstellen könnte, antwortete Bach: «Ohne Tabu heißt auch, man könnte sich überlegen, die Tour abzubrechen, um Entschlossenheit im Anti- Doping-Kampf zu demonstrieren.» DOSB-Generaldirektor Michael Vesper nannte den Eklat «eine Katharsis, durch die der Radsport geht.»
Sportpolitiker Danckert übte harte Kritik am Radsport-Weltverband UCI. Dass der ebenfalls unter Dopingverdacht stehende Tour- Spitzenreiter Michael Rasmussen weiterfahren durfte, sei «skandalös». Danckert: «So geht es nicht weiter. So gibt es auch keine WM mit der Unterstützung des Bundes. Die Deutschland-Tour müsste man auch absagen. Die Verantwortlichen müssen Konsequenzen ziehen. Einer UCI, die sich weigert, einen Rasmussen zu sperren, glaube ich kein Wort mehr.» Das Internationale Olympische Komitee (IOC) habe «eine besondere Verpflichtung und muss prüfen, ob einige Disziplinen des Radsports noch tragbar sind. Das IOC ist viel zu zurückhaltend.»
Harte Worte Richtung UCI findet auch Heide Ecker-Rosendahl. «Ein Verband wie der UCI sollte vielleicht mit neuen Leuten besetzt werden. Ich glaube, dass da zu viele wissen, wo noch Leichen vergraben sind», sagte die Vize-Präsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes und Doppel-Olympiasiegerin von München 1972. «Man glaubt ja gar nicht, wie dumm manche Radprofis sind, dass sie es immer noch und wieder versuchen. Ich glaube, dass keine andere Sportart so verseucht ist.»
Für den dreimaligen Kanu-Olympiasieger Andreas Dittmer hat die Tour «nur noch Unterhaltungswert, wer ist der nächste Fall. Sportlich interessiert es mich fast gar nicht mehr, aber dafür umso mehr, wie mit dem Thema Doping dort umgegangen wird.» 400-Meter-Läufer Ingo Schulz, früherer Vize-Weltmeister und Europameister, findet das Ganze «langsam lächerlich. Damit wird auch dem Gesamtsport geschadet. Es muss ein Schnitt gemacht werden. Man muss den Radsport neu aufbauen.» Stephan Vuckovic, Olympia-Zweiter 2000 im Triathlon, ist trotz aller Kritik gegen einen Abbruch der Frankreich-Rundfahrt. «Die Tour de France muss man durchziehen», sagte er, «wenn man sie jetzt abbricht, schadet das denen, die ehrlich und sauber unterwegs sind.»
Helmut Digel will den Radsport nicht abschreiben. «Natürlich ist diese schöne Sportart noch zu retten. Schließlich gibt es viele Jugend- und Freizeitsportler, aus denen der Leistungssport hervorgeht», sagte der Sportwissenschaftler und Vizepräsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes IAAF. «Es macht keinen Sinn, sich bei positiven Proben von einer Sportart zu verabschieden. Das wäre ziemlich unprofessionell. Sonst kann der Leistungssport generell nicht mehr ausgeübt werden.»
Rudolf Scharping fleht als Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer fast darum, den Radsport nicht fallen zu lassen. Dem Nachrichtensender N24 beschrieb er die aktuelle Situation des Radsports so: «Das ist wie in der Waschmaschine. Der Radsport ist im Schleudergang. Und manche Flecken sind halt besonders hartnäckig. Nun kann ich entscheiden, soll ich mit dem Säubern aufhören und alles wegschmeißen oder setze ich den Säuberungsprozess fort. Ich bin für das Zweite.» Wenn man jetzt vor den Schwierigkeiten weglaufe, könne man den Radsport ruinieren. Dieser sei «schwer beschädigt - aber muss man ihn deswegen auch umbringen?» Das halte er für die falsche Konsequenz und würde diejenigen bestrafen, die sauberen Sport abliefern.
Die SPD hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) aufgefordert, den Zuschuss zur Rad-Weltmeisterschaft in Stuttgart zu streichen. «Der jüngste Dopingfall bei der Tour de France um Alexander Winokurow, Kapitän des Astana-Teams, zeigt sehr klar, dass die Doper-Mentalität im Radsport ungebrochen ist», sagte die sportpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Dagmar Freitag, in Berlin. Das Bundesinnenministerium hatte sich bereits eine Woche zuvor besorgt über die anhaltenden Dopingfälle gezeigt. Schäuble sagte der «Frankfurter Rundschau», «wenn es hart auf hart kommen sollte, dürfen wir vor den finanziellen Folgen einer Absage der Straßen-WM in Stuttgart nicht zurückschrecken.»