Berlin (dpa) - Jan Ullrich ließ der Konkurrenz keine Chance. In Paris hatte Richard Virenque mit 9:09 Minuten das Nachsehen, fünf Monate später brachte es der Tour-Sieger aus Merdingen bei der Wahl zum «Sportler des Jahres» auf 5924 Punkte. Das war 1997. Fünf Jahre später war für den Mann mit den Sommersprossen alles gar nicht mehr so lustig.
Bei seiner sportlichen Berufung, der Tour de France, hatte Ullrich verletzt und des Dopings verdächtigt, gefehlt. Bei der Sportler-Wahl kam der strahlende Sieger von 1997 in Baden-Baden mit zwei Punkten auf Rang 82. Dieses Dokument eines verpfuschten Jahres, das sogar den Endpunkt einer glänzenden, aber kurzen Karriere markieren könnte, ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
2002 markierte den Tiefpunkt der Laufbahn des Wunderkindes aus Rostock, das sich nach erstmals im Dezember 2001 aufgetretenen Knie-Problemen in diesem Jahr zwei Mal operieren ließ. Der Olympia-, Tour- und Vuelta-Sieger Ullrich kam aber nicht nur deshalb aus dem Tritt und wurde zur Risiko-Aktie mit vagen Steigerungsraten. Der 29-Jährige, seit Juli ohne Vertrag und noch bis 23. März 2003 gesperrt, wartet weiter auf einen zahlungswilligen Arbeitgeber, bei dem er zum Comeback starten will. Angeblich in aller Ruhe. «Ich habe Zeit», sagt er, während sein umtriebiger Manager Wolfgang Strohband die Eckpunkte der Preisvorstellungen bekannt gab: Unter einer Million Euro pro Jahr sei nichts zu machen.
Der Rückblick auf das ablaufende Jahr liefert für diese Forderung ganz sicher nicht die Grundlage: Zehn Tage Rennpraxis im Januar bei einer Jux-Veranstaltung in Katar, Fahrerflucht mit 1,4 Promille im Mai, positive Doping-Kontrolle nach einem Disko-Besuch im Juni, Vertragsauflösung bei Telekom Ende Juli mit gleichzeitiger Verkündung der Sechs-Monats-Sperre durch das Sportgericht des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR).
Die Wende zum Besseren wollte Ullrich, zu DDR- und Telekom-Zeiten meist eher fremd bestimmt, selbst einleiten. Ein wahrscheinlich guter Ansatz, der jedoch auf halbem Weg stecken blieb. Der Neubeginn mit den alten Wegbegleitern, vor allem seinem Trainer Peter Becker, hat ihm bis dato nicht einmal einen Arbeitsstellen-Wechsel beschieden. Sein neues Wunschteam unter den Fittichen seines ehemaligen Telekom- Kollegen Bjarne Riis brachte bisher nicht das nötige «Kleingeld» auf. Andere Mitbieter erscheinen nicht seriös oder sportlich viel versprechend genug.
Ullrich und sein Management könnten sich in eine Zwickmühle manövriert haben, nachdem die Deutsche Post als irgendwie logischer Telekom-Nachfolger im November kurz vor der Unterschrift abgesprungen war. Wenn Ullrich und Strohband («Auf gar keinen Fall kann passieren, dass Jan in der kommenden Saison ohne Team dasteht») keine Abstriche in ihren Forderungen machen, könnte sich das Thema «Comeback im neuen Team» 2003 erledigt haben.
Unter den gegebenen Umständen erscheint sogar ein Rückzug des Radsport-Millionärs aufs Altenteil mit 29 nicht ganz abwegig. Zumal die völlige Gesundung des in die Schweiz umgezogenen Radprofis, der seit sechs Wochen wieder leicht trainiert («Ohne Schmerzen»), nicht garantiert werden kann. In der Weltrangliste wird Ullrich schon seit längerem unter den ersten 200 nicht mehr geführt.