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Das Rennen um Ullrich beginnt
26.09.2002 18:15
Das Rennen um Ullrich beginnt

Berlin (dpa) - Das Rennen um Jan Ullrich ist eröffnet. Nach seinem Bruch mit dem Telekom-Team, in dem der 28-jährige Olympiasieger 1995 sein Profi-Debüt gegeben hatte, stehen die Interessenten Schlange.

Die größten Chancen auf die Verpflichtung des wegen der Tabletten-Affäre noch bis zum 23. März 2003 gesperrten Ullrich haben in erster Linie CSC aus Dänemark und das Essener Coast-Team. Aber Ullrich hat nach eigener Aussage weitere Angebote.

«Ich brauchte eine neue Herausforderung, einen neuen Anfang. Ich will wieder so viel Spaß am Radsport wie vor drei, vier Jahren. Zuletzt hieß es immer nur: du musst, du musst», begründete Ullrich sein Ausscheiden in einem dpa-Interview. Der Neuanfang des gebürtigen Rostockers geht aber nicht so weit, sich auch - wie in seinem bisherigen Umfeld angenommen - von seinem langjährigen Trainer Peter Becker zu trennen. »Er wird mich auch die nächsten Jahre betreuen», sagte Ullrich in Berlin.

«Wir wollen ihn und sind in Verhandlungen, aber bevor mit dem neuen Sponsor noch nichts hundertprozentig ist, kann ich kein konkretes Angebot machen», erklärte Toursieger Riis, unter dessen Fittichen Ullrich 1996 auf Anhieb Zweiter der Tour de France wurde und im folgenden Jahr als erster deutscher Radprofi in Paris das Gelbe Trikot trug. CSC, dessen bisheriger Co-Sponsor Tiscali abspringt, verzögert im Moment laufende Verhandlungen mit dem spanischen Doppel-Weltmeister Oscar Freire.

Das CSC-Team des ehemaligen Telekom-Profis Bjarne Riis will möglichst bei der WM Anfang Oktober in Zolder/Belgien einen namhaften Co-Sponsor präsentieren, mit dessen Hilfe eine Ullrich-Verpflichtung möglich wäre. «Die Marke Ullrich ist in Deutschland weiterhin für nahezu jede Branche enorm werbeträchtig», sagte der Bonner PR-Fachmann Tilmann Falt, der Ullrich zu dessen Anfangszeiten bei Telekom mit betreut hatte.

Bis zum Einfrieren seines Telekom-Vertrages nach der Verkündung seiner Sperre im Juli kassierte Ullrich von den Bonnern ein Grundgehalt von rund 120 000 Euro pro Monat. Diesen Vertrag wollte Telekom modifizieren und den gebürtigen Rostocker in Zukunft nur noch leistungsbezogen bezahlen. Darauf wollte sich Ullrich offensichtlich nicht einlassen. «Wir haben ihm bis zuletzt alle Türen offen gelassen», sagte Teamsprecher Olaf Ludwig. Manager Walter Godefroot hätte ihm sogar ein Haus in Nizza angeboten, wo er zusammen mit seinem Team-Kollegen Alexander Winokurow hätte trainieren können.

Ullrich, der nicht im Ruf steht, besonders trainingsfleißig zu sein, rechnet im Oktober damit, wieder aufs Rad steigen zu können. «Ich will bei meinem zukünftigen Arbeitgeber mindestens einen Zweijahresvertrag. 2003 wird sicher schwer für mich, aber 2004 will ich wieder ganz oben sein», sagte Ullrich. Bei CSC würde ihn ein hartes Regiment erwarten. «Wenn er kommt, weiß Jan, dass er machen muss, was Bjarne sagt», meinte Riis, der glaubt, Ullrich «in sechs Monaten wieder in Topform» bringen zu können.

Nach der «Scheidung des Jahres» ist auch Coast im Rennen um die Gunst des zweifachen Zeitfahr-Weltmeisters. «Wir müssen abklopfen, was Ullrichs sportliche Erwartungen an unser Team wären. Das Geld ist ihm nicht das Wichtigste. Es geht ihm um sein Comeback, und die Chancen dazu stehen gut. Ich weiß, dass Lance Armstrong höchstens noch zwei Jahre fährt», sagte Coast-Manager Marcel Wüst, der in Kontakt mit Ullrich-Manager Wolfgang Strohband steht.

«Ich hoffe, Jan hat die richtige Entscheidung getroffen und bekommt durch den Wechsel die richtige Motivation. In meinem Sport-Leben muss ich eine neue Seite aufschlagen. Bis zuletzt habe ich versucht, ihn noch umzustimmen», sagte Telekom-Teamchef Rudy Pevenage, zu dem Ullrich immer ein besonders enges Verhältnis hatte.

Aber der Weg zurück zur Spitze wird für Ullrich, der nach der zweiten Knie-Operation weiterhin in Reha-Behandlung ist, steinig. «Wenn Bjarne oder sonst wer Jan im nächsten Jahr bei der Tour aufs Podium bringt, würde ich sagen: Hut ab», meinte Pevenage, der seit 2000 mit Ullrich bei der Tour de France gegen den inzwischen vierfachen Gewinner Armstrong zwei Mal den Kürzeren zog.

In einem Interview des Bonner «Generalanzeiger» zeigte sich Telekom-Kommunikations-Chef Jürgen Kindervater am Donnerstag tief getroffen. Ein Tapetenwechsel bringe nichts: «Bloß, weil Sie die Brille wechseln, wird aus Regen kein Sonnenschein.» Ullrich ist laut Kindervater von Leuten mit «egoistischen Motiven» umgeben.

Nach dem Ausscheiden Ullrichs werde sich Telekom eventuell noch nach einem 24. Profi für die kommende Saison umschauen, «wenn es der Transfermarkt hergibt», meinte Pevenage. Nach der bereits erfolgten Verpflichtung des diesjährigen Giro-Siegers Paolo Savoldelli (Italien) und des hoffnungsvollen Cadel Evans (Australien) habe Telekom für 2003 Alternativen für die großen Rundfahrten.


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