Berlin (dpa) - Rund 15 Jahre Radsport in der Weltspitze sind für Lisa Brennauer genug. Nach dem Super-Jahr 2021 mit Olympiasieg, WM- und EM-Titel tritt die 34-jährige Allgäuerin auf dem Höhepunkt ihrer Karriere ab.
Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht Brennauer über ihre Beweggründe, die Inspiration durch Kristina Vogel und den Frauen-Radsport.
Frage: Lisa Brennauer, Sie wollen als Olympiasiegerin sowie Welt- und Europameisterin Ihre Karriere beenden. Wieso?
Lisa Brennauer: Man hat mir immer gesagt: Beim Karriereende fühlst du, wenn es der richtige Moment ist. Ich habe das nie so verstanden, aber jetzt verstehe ich es. Es ist der richtige Zeitpunkt. Ich habe nach den großen Erfolgen im letzten Jahr viele Gespräche geführt. Das hat mir die Entscheidung auch leichter gemacht. Das kam nicht von heute auf morgen, das ist ein Prozess. Ich bin froh, dass ich die Tour de France noch mitnehmen konnte. Ich finde es schön, dass ich mit dieser positiven Energie aus dem Sport gehen kann und dass ich den Zeitpunkt selber wählen konnte und nicht dazu gezwungen wurde. Ich hätte noch lange Sport machen können. Sowohl vom Mentalen als auch vom Körperlichen her bin ich nicht am Ende angelangt.
Olympia 2024 war kein Ziel mehr?
Brennauer: Paris war für mich immer wahnsinnig weit weg, obwohl es ein kurzer Olympia-Zyklus ist. Es ist im Kopf nie so richtig angekommen, dass ich da den Titel verteidigen möchte. Jetzt weiß ich auch, warum.
Die Europameisterschaften in München sollen den Schlusspunkt bilden?
Brennauer: Ja, ich nehme dort alles noch mal mit. Ich bin auch für die Straßenrennen nominiert. Und vorher auf der Bahn am Start zu stehen, war ein großes Ziel von mir, nachdem ich letztes Jahr nicht wusste, welche Ziele ich mir überhaupt noch setzen soll. Ich bin motiviert, in München etwas zu machen.
An welche Erfolge denken Sie besonders gerne zurück?
Brennauer: Das ganz große Highlight war letztes Jahr der Olympiasieg (im Bahnrad-Vierer), das war auch emotional mein größter Sieg. Aber generell die Erfolge im letzten Jahr, das war das erfolgreichste Jahr meiner Karriere. Woran ich mich wahnsinnig gerne zurückerinnere, ist die WM 2014 in Ponferrada mit zwei Titeln in der Mannschaft und im Einzelzeitfahren und dem zweiten Platz im Straßenrennen. Das ist eine Woche, die ich nie vergessen werde. Auch die European Games 2018 in Glasgow waren ein Highlight, weil es davor nicht so lief.
Was bleibt sonst noch hängen?
Brennauer: Rückblickend fällt mir auf, dass ich gesundheitlich und verletzungsbedingt relativ wenige Rückschläge hatte. Dafür bin ich wahnsinnig dankbar. Das haben nicht viele. Ich habe mir mal den Finger doll verletzt oder auf der Bahn einen Oberarmbruch zugezogen. Aber so risikoreich, wie unser Sport ist, ist es eigentlich nichts. Ich hatte da so viel Glück.
Von den Erfolgen her stehen Sie auf einer Stufe mit Judith Arndt oder Kristina Vogel. Was bedeutet Ihnen das?
Brennauer: Das sind Leute, zu denen habe ich aufgeschaut. Ich habe immer gedacht: Wenn ich da mal wäre ... Wenn ich Kristina Vogel nehme: Ich erinnere mich an all die Bilder, wie sie jubelnd um die Bahn gefahren ist. Ich habe halt nie etwas gewonnen. Und als ich dann in Glasgow meinen ersten internationalen Sieg auf der Bahn geholt habe, weiß ich noch, dass ich gleich danach Kontakt zu ihr hatte und ihr sagte: 'Ich wollte auch mal so jubelnd um die Bahn fahren wie du.' Wenn man mit solchen Leuten auf eine Stufe gestellt wird, das macht schon stolz.
Sie sprachen die wiederbelebte Tour de France der Frauen an. Wie waren Ihre Eindrücke?
Brennauer: Es war eine ganz harte Woche, aber auch richtig cool. Die Atmosphäre und so viele Zuschauer - das habe ich in meiner ganzen Karriere nicht gesehen. Auch wenn du 15 Minuten zurück warst, haben dich die Leute gefeiert. Es war schon sehr speziell.
Gibt das dem Frauen-Radsport den nötigen Push?
Brennauer: Es war eine super Plattform und ein riesiger Schritt nach vorne, der da stattgefunden hat. Das ist ein Format und ein Schub, den der Frauen-Radsport gebraucht hat. Wir sind aber noch lange nicht da, wo wir sein könnten. Da ist noch vieles möglich. Bei der Infrastruktur in den Teams hat sich schon viel getan, aber es ist noch nicht das Ende. Da gibt es noch viel Luft nach oben. Aber der Frauen-Radsport hat kein Exotendasein mehr. Das hat man gespürt.
Kann man vom Frauen-Radsport denn finanziell leben?
Brennauer: Mittlerweile ist das möglich. Ich bin aber froh, die Bundeswehr an meiner Seite zu haben. Es gibt ganz große Schritte, wenn man an die WorldTour-Teams mit den Mindestgehältern denkt. Aber es gibt auch Umfragen, dass nicht jeder von dem Sport leben kann. Da sind noch Wege zu gehen.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei der Fußball-EM der Frauen ein Equal Pay angeregt. Wäre das auch im Radsport denkbar?
Brennauer: Es wäre wünschenswert. Momentan sind die Unterschiede gigantisch, egal ob es die Gehälter oder die Preisgelder betrifft. Da braucht man keine Vergleiche ziehen. Aber zumindest bei den Mindestgehältern in den WorldTour-Teams ist es schon ziemlich nah. Da wurden große Schritte gegangen. Die Preisgelder sind ein Thema. Bei der Tour sind wir ein Drittel der Zeit und Kilometer der Männer gefahren. Aber es gab nur ein Zehntel des Preisgeldes.
Mit Blick auf die Fußball-EM oder auch die Tour hat es den Anschein, dass Frauen im Sport mehr in den Blickpunkt gerückt sind.
Brennauer: Das ist eine riesige Entwicklung, auch richtig und wichtig. Auch wie die Leute darauf reagieren und es annehmen.
Wie sieht Ihre Zukunft aus?
Brennauer: Ich bin letztes Jahr Berufssoldatin geworden in der Spitzensportförderung. Ich bin ja bei der Bundeswehr schon seit meinem Abitur und werde auf jeden Fall dabei bleiben. Welche Stellung ich einnehmen werde, ist nicht sicher. Ich hoffe, dass ich die Möglichkeit bekomme, viel von meinem Wissen und meiner Erfahrung weiterzugeben.
Würde Sie eine Rolle als Trainerin interessieren?
Brennauer: Vorstellen kann ich es mir. Ich muss schauen, welche Möglichkeiten ich da habe. Mir wäre es wichtig, so nah wie möglich am Sport zu bleiben.