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Riccardo Ricco (M) wird in Lavelanet von Polizisten in Gewahrsam genommen.
17.07.2008 18:40
«Bergkönig» Ricco positiv - Tour hat 3. EPO-Fall

Lavelanet (dpa) - Die Doping-Erschütterungen werden immer heftiger und rütteln an den Grundfesten der Tour de France. Mit dem zweifachen Etappensieger Riccardo Ricco wurde der dritte Doper nach Manuel Beltran und Moises Dueñas Nevado (beide Spanien) enttarnt.

Riccos spanisches Team Saunier Duval trat zur 12. Etappe in Lavelanet nicht mehr an. «Wir stellen unsere sportlichen Aktivitäten im Moment ein. Er ist kein x-beliebiger Fahrer, wir haben das Team um ihn herum aufgebaut und unser Image», erklärte Teamchef Pietro Algeri den Tränen nahe. ARD und ZDF sahen keine Veranlassung von ihrer Linie abzuweichen und übertragen weiter.

Während in Lavelanet die Startvorbereitungen liefen, enthüllte in Tarbes die Staatsanwaltschaft das ganze Ausmaß des Doping-Falls Dueñas Nevado: Die Polizei hätte bei dem Spanier vom Barloworld-Team am Mittwoch Spritzen, Flüssigkeiten und Transfusionsbeutel sichergestellt. Dabei sei auch ein auf dem französischen Markt nicht zugelassenes Medikament gefunden worden. Dem 27-Jährigen drohen nach dem verschärften französischen Anti-Doping-Gesetz bis zu fünf Jahre Haft und 75 000 Euro Bußgeld.

In Lavelanet hatten sich regelrechte Jagdszenen um Ricco abgespielt. Der Träger des Bergtrikots wollte im Team-Wagen über die Startlinie flüchten, doch die Polizei verfolgte ihn und nahm den Italiener in Gewahrsam. Dem 24-Jährigen, für große Sprüche und Provokationen bekannt, wurde die Verwendung des neuen EPO-Präparats CERA nach dem Zeitfahren in Cholet, das Stefan Schumacher gewonnen hatte, nachgewiesen.

«Wir werden noch keine drakonischen Maßnahmen gegen die Teams einleiten, solange wir nicht mehr wissen», hatte vor dem selbst gewählten Tour-Aus der spanischen Mannschaft ASO-Direktor Patrice Clerc erklärt. «Für uns ist das ein weiterer von isolierten Fällen.» Ricco war bereits zu Tour-Beginn in Verdacht geraten, nachdem sein Name auf einer Liste von fünf Fahrern erschienen sein soll, die nach Kontrollen der französischen Anti-Doping-Agentur AFLD «Auffälligkeiten» aufgewiesen hätten, wie die «L'Équipe» berichtete. Nutznießer des Saunier-Duval-Ausstiegs waren Sebastian Lang als neuer Träger des Bergtrikots und der Italiener Vicenzo Nibali als bester Nachwuchsfahrer.

Trotz der neuesten dramatischen Ereignisse sah Gerolsteiner-Teamchef Hans-Michael Holczer keine Gefahr für die Fortsetzung der Tour de France, die 2006 und 2007 ähnliche Doping-Erdbeben erlebt hatte. «Die Tour geht weiter, sie steht hinter den Kontrollen und hat sie initiiert. Uns stehen wahrscheinlich noch weitere Unbelehrbare ins Haus. Interessant wird, aus welchen Teams sie kommen könnten», sagte der Mathematiklehrer der Deutschen Presse-Agentur dpa.

Ähnlich argumentierten die öffentlich-rechtlichen TV-Sender. «Wir übertragen weiter. Ein mögliches Szenario, unsere jetzige Haltung zu überdenken, wäre es, wenn noch mehr Mannschaften die Tour verlassen würden und der sportliche Wert grundsätzlich infrage gestellt würde», sagte ARD-Sprecher Rolf-Dieter Ganz auf dpa-Anfrage.

Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees IOC, zeigte sich «sehr, sehr traurig» angesichts der drei jüngsten Doping-Fälle. «Ich hatte gehofft, dass die neue Generation den Radsport mit einer neuen Einstellung betreibt. Ich hatte gehofft, dass der Radsport begriffen hat, dass es Zeit ist, etwas zu ändern», sagte der Belgier in einem dpa-Gespräch. Für DOSB-Präsident Thomas Bach ist es «erschreckend, dass der erforderliche Sinneswandel im Radsport trotz vieler Anstrengungen im Anti-Doping-Kampf offensichtlich immer noch nicht vollzogen wurde. Es wird mit großer Dreistigkeit weiter gedopt.»

Im Teilnehmer-Feld wurde mit Unverständnis auf die neuesten Skandal-Nachrichten reagiert. «Das tut uns allen so weh. Man steht fassungslos davor», meinte der Berliner Jens Voigt. Der sportliche Leiter des T-Mobile-Nachfolgers Columbia, Rolf Aldag, sagte: «Das ist ein Riesenschlag für die Tour und den Radsport.» Aldag hatte im Mai 2007 selbst Doping in den 90er Jahren gestanden.

Der Doping-Experte Rasmus Damsgaard hatte vor Bekanntwerden des jüngsten Falles bereits ein düsteres Bild von der Tour gemalt. Der Däne, der die internen Anti-Doping-Programme in Voigts CSC-Saxo-Team und bei der US-Equipe Garmin leitet, kritisierte den Tour- Veranstalter ASO und die AFLD, die die Tests beim Juli-Spektakel vornimmt. «Ich befürchte, sie würden 10, 20 oder 30 Prozent der Fahrer mit EPO überführen, wenn sie jetzt das komplette Feld testen würden», hatte Damsgaard einem dänischen Internetportal erklärt. Stichproben würden nicht genügen. Voigt nannte den Vorwurf «eine gewagte Aussage».

AFLD-Chef Pierre Bordry wies den Vorwurf zurück, dass man Riccos Testergebnisse - wie die des inzwischen von Barloworld entlassenen Dueñas - bereits am Mittwoch hätte bekanntgeben müssen: «Das ist eine Frage der Kapazitäten. Die Laboratorien haben sehr viel zu tun.» Zugleich forderte er von der französischen Regierung mehr Geld für den Anti-Doping-Kampf: «Ich brauche mehr Mittel vom Ministerium, um die Kontrollen schneller durchführen zu lassen», sagte er der dpa. Ricco und Dueñas waren beide nach der 4. Etappe erwischt worden.


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