Frankfurt (rad-net) - «Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen», sagt BDR-Sportdirektor Patrick Moster nach der Rückkehr von den Olympischen Spielen von Paris. Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) gewann zwei Medaillen: Lea Friedrich holte Silber im Sprint, außerdem gewann sie zusammen mit Emma Hinze und Pauline Grabosch noch Bronze im Teamsprint. In seiner Olympia-Bilanz äußert Moster auch seine Bedenken am deutschen Sportfördersystem und warnt vor der Zukunft.
Der BDR habe die vorher gesteckten Ziele von mindestens zwei Medaillen erreicht, aber es habe sich auch bestätigt, was man im Vorfeld befürchtete. «Die anderen Nationen haben aufgeholt, die Unterschiede sind kaum noch messbar», sagt Moster. «Dort, wo wir stark zentralisiert arbeiten, hat sich die Vorbereitung bedingt ausgezahlt», sagt Moster und meint den Kurzzeitbereich der Bahn, wo die Athletinnen und Athleten viele gemeinsame Trainingseinheiten im Vorfeld der Spiele absolviert hatten. «Da, wo wir investiert haben, gab es Medaillen.»
Neben den Frauen hat vor allem auch Luca Spiegel im Kurzzeitbereich überzeugt. Der erst 20-Jährige verbesserte im Sprint den elf Jahre alten Deutschen Rekord und schaffte es im Keirin ins Kleine Finale.
Im Ausdauerbereich habe es in Paris zwei Lichtblicke gegeben. «Die Leistungen von Tim Torn Teutenberg und im Madison mit Roger Kluge und Theo Reinhardt haben unsere Strategie gerechtfertigt», so Moster. Der BDR hatte auf eine optimale Besetzung des Vierers verzichtet und den Schwerpunkt auf die Disziplinen Madison und Omnium gesetzt. Wäre Theo Reinhardt im Rennen nicht unglücklich gestürzt, hätte das Duo eine Medaille holen können. So wurde es «nur» Platz fünf. Der siebte Platz des 22-jährigen Tim Torn Teutenberg im Feld absoluter Top-Fahrer waren ein mehr als respektables Ergebnis, auf dem sich in Zukunft aufbauen lässt.
Im Ausdauerbereich der Frauen habe man das Ausscheiden von Lisa Brennauer (Karriereende) noch nicht kompensiert, sei aber auf einem guten Weg.
Nicht nur die Medaillenbilanz des BDR war in Paris überschaubar, sondern des gesamten deutschen Sports. Es gab großartige Erfolge bei den Spielen, was nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass es die schwächste Medaillenausbeute seit der Wiedervereinigung war.
«Unser aktuelles Fördersystem erlaubt im Moment noch gute Leistungen. Aber wenn sich die Rahmenbedingungen im deutschen Spitzensport nicht verbessern, dann werden wir im Radsport und im Leistungssport allgemein damit rechnen müssen, uns künftig im breiten Mittelmaß wiederzufinden», warnt Moster. «Wir können mit anderen Nationen schon jetzt nicht mehr mithalten, weil die Fördergelder zu niedrig sind. Wer eine höhere Produktivität will, der muss auch bereit sein an entscheidenden Stellen zu investieren.»
In Paris nutzten zahlreiche Spitzensportler die Chance, auf die Missstände im deutschen Spitzensport aufmerksam zu machen. Als Bundeskanzler Olaf Scholz während der Spiele mit einigen Top-Athleten zusammentraf, suchten sie das Gespräch mit dem Kanzler. Er versprach, sich des Themas anzunehmen.
Moster wird in seiner Kritik sehr konkret: «zUnsere Trainergehälter sind zu niedrig, wir haben zu wenig Spitzenveranstaltungen im Sport. Uns fehlen Sportstätten, die internationale Standards erfüllen. Wir sind das einzige europäische Land, dass im Bereich BMX-Freestyle keine geeignete Trainingsstätte hat», nennt Moster ein konkretes Beispiel. Sportlerinnen und Sportler müssen oft ins Ausland ausweichen. Da ist es schon bemerkenswert, wenn es überhaupt ein deutscher Sportler schafft, sich für die Spiele zu qualifizieren wie in Paris Kim Lea Müller.
Im BMX Race hat es zehn Jahre gedauert, bis in Stuttgart eine den internationalen Normen entsprechende Bahn fertiggestellt werden konnte. «Da haben wir auch einen Schritt gemacht, konnten uns erstmals seit Jahren wieder mit einer Frau und einem Mann für das Olympische Turnier qualifizieren», sagt der Sportdirektor. «Der Bürokratismus und die projektgebundene Vergabe der Fördergelder stellen weitere Hürden in der Effizienz des Sportsystems dar.»
Auf der Straße waren die gezeigten Leistungen in Paris zufriedenstellend. Ohne Nils Politts Missgeschick (plötzliche Magen-Darm-Probleme) und Liane Lipperts Nachwirkungen der langen Verletzungspause und einer Corona-Infektion, wären Top-Resultate möglich gewesen. Im Mountainbike wird der BDR in den nächsten Sitzungen analysieren, warum es nicht zu einer Top-Ten-Platzierung gereicht hat.
Neben einer effektiven Förderung des deutschen Spitzensports wünscht sich Moster für die Zukunft auch mehr sportliche Großveranstaltungen im Land. Die letzte Straßen-Weltmeisterschaft in Deutschland fand 2007 in Stuttgart statt. «Wir brauchen mehr Welt- und Europameisterschaften. Nur über solche Großereignisse wird der Sport auch gesellschaftspolitisch ganz anderes wahrgenommen. Das hat doch die Fußball-EM im eigenen Land gerade sehr deutlich offenbart. Der Fußball im Land hat eine völlig neue Akzeptanz gewonnen», macht Moster deutlich.
Auch im Radsport habe man das kürzlich erleben können: Die Bahn-EM der Nachwuchsklassen in Cottbus im Juli habe gezeigt, welchen Leistungsschub solche Veranstaltungen bewirken. «Sportler sind zu höherer Leistung fähig, wenn sie vor heimischer Kulisse auftreten. Der physische und psychische Effekt ist enorm. Die Leistungsgrenze verschiebt sich. Unser Juniorinnen-Vierer hätte vermutlich keine Goldmedaille gewonnen, hätte die EM in einem anderen Land stattgefunden», glaubt Moster. «Für die bessere Wahrnehmung und die Entwicklung des Spitzensports sind mehr Großereignisse notwendig.»
Will der deutsche Sport in Los Angeles 2028 nicht endgültig den Anschluss verlieren, muss das Fördersystem endlich überarbeitet werden.
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