München (rad-net) - Am Mittwoch werden die European Championships in München mit der Eröffnungsfeier eingeläutet, ab Donnerstag geht es sportlich rund. Der Radsport ermittelt in den vier Disziplinen Bahn, Straße, Mountainbike und BMX Freestyle seine Europameister. 30 Entscheidungen werden fallen. Die größten Chancen liegen für den BDR auf der Bahn. Dort will der Olympia-Vierer von Tokio erneut nach Gold greifen, und auch die Sprinter sind große Medaillenhoffnungen.
Die Bahn-Wettbewerbe finden auf dem Messegelände der bayerischen Landeshauptstadt statt. Dort wurde in einer der Messehallen eine temporäre Bahn installiert. Anders als sonst bei internationalen Wettkämpfen üblich, finden die Entscheidungen nicht auf einer 250- sondern auf einer 200-Meter-Bahn statt, die ihre Tücken hat. «Diese Bahn hat einen eigenen Charakter. Die Kurven sind viel enger, man muss technisch anders herangehen», sagt Bundestrainer Tim Zühlke, verantwortlich für den Ausdauerbereich der Männer.
Um sich an die veränderten Bedingungen zu gewöhnen, hat die komplette Bahn-Nationalmannschaft zuletzt auf der Radrennbahn in Augsburg trainiert, die ebenfalls eine Länge von 200 Metern hat. Dort konnte der BDR das komplette Gelände der RSG Augsburg nutzen, was für die Vorbereitungen auf München äußerst hilfreich war. «Wir sind Albert Hofstetter und seinem Team in Augsburg sehr dankbar, dass wir die Bahn für unsere Vorbereitungen nutzen konnten», sagte BDR-Sportdirektor Patrick Moster.
Im Ausdauerbereich der Männer musste Zühlke bereits bei den Vorbereitungen auf Domenic Weinstein und Benjamin Boos verzichten, die beide an Corona erkrankt sind. Theo Reinhardt, Nicolas Heinrich, der gerade erst den EM-Titel in der Einerverfolgung der U23 gewann, und Tobias Buck-Gramcko sind gut in Form, während Leon Rohde nach einem Bandscheibenvorfall noch nicht hundertprozentig an sein gewohnt gutes Leistungsvermögen anknüpfen kann. «Ich kann keine Prognose abgeben, wie die Jungs abschneiden werden, aber die Hoffnung, das kleine Finale zu erreichen, die besteht immer», sagt Zühlke, der auch Roger Kluge und Theo Reinhardt eine Medaille im Madison zutraut. Beide sind zweifache Weltmeister in dieser Disziplin.
Die Zuschauer können in München ein letztes Mal Lisa Brennauer live erleben, denn die Olympiasiegerin wird nach München ihre erfolgreiche Karriere beenden. Zusammen mit den übrigen Mitgliedern des Olympia-Vierers von Tokio - Lisa Klein, Franziska Brauße und Mieke Kröger - wird sie noch einmal auf Titeljagd gehen und vielleicht ihre 26. internationale Medaille gewinnen. Auch in der Einerverfolgung ist die amtierende Weltmeisterin die große Favoritin.
«Unser Fokus liegt aber ganz klar auf dem Vierer», sagt Bundestrainer André Korff, dem lediglich die Form von Lisa Klein noch ein wenig Kummer bereitet, weil auch sie an Corona erkrankt war. Bis zum Wettkampf will die Saarbrückerin aber wieder fit sein. Franziska Brauße, Mieke Kröger und Lisa Brennauer, die kürzlich noch an der Tour de France Femmes teilnahmen, bescheinigt Korff eine sehr gute körperliche Verfassung. In der Einerverfolgung hat der BDR keine drei Startplätze, wie bei einer Weltmeisterschaft, wo die Titelverteidigerin automatisch gesetzt ist. Daher muss sich Korff zwischen Brauße und Kröger entscheiden. Brennauer, die letztes Jahr in Grenchen den EM-Titel in der Einerverfolgung gewann, wird in jedem Fall starten. «Eine EM im eigenen Land ist immer etwas besonders, und ich bin hoch motiviert. Zumal es auch meine letzten Wettkämpfe sind», sagt Brennauer.
Im Omnium setzt der Bundestrainer auf Lin Teutenberg, die sich mehr und mehr auf internationalem Terrain etabliert.
Auch Deutschlands erfolgreiche Sprinter hatten im Training in Augsburg so ihre Anpassungsprobleme mit der 200-Meter-Piste. «Sprint und Keirin muss man ganz anders fahren als auf einer längeren Bahn», sagt Bundestrainer Jan van Eijden. «Die Modalität des Fahrens ist anders, weniger Taktik, mehr Schnelligkeit», verrät der Coach. «Der Kurvenradius ist so eng, dass sich jede kleine Welle hochschaukelt. Da muss man ganz anders fahren.» Die Gefahr von Stürzen ist besonders im Keirin also höher einzustufen, als auf einer Bahn, die 250 Meter misst.
Im Kurzzeitbereich der Frauen tritt der BDR mit der Crème de la Crème des internationalen Sprintbereichs an: Emma Hinze und Lea Sophie Friedrich sind beide fünffache Weltmeisterinnen, hinzu kommt Pauline Grabosch, die sowohl im letzten Jahr als auch 2020 zusammen mit Hinze und Friedrich Weltmeisterin im Teamsprint wurde. «Wir können in allen Disziplinen um die Medaillen mitfahren, und es wäre schön, wenn wir auch ganz oben auf dem Treppchen landen würden», so Van Eijden. Die EM ist für ihn genau wie für die Kollegen aus dem Ausdauerbereich zwar eine Zwischenstation auf dem Weg zum Saisonhöhepunkt, der Weltmeisterschaft im Oktober in Paris, «aber als Austragungsnation hat die EM für uns natürlich auch einen Stellenwert», sagt Van Eijden.
Bei den Männern muss der Trainer auf den amtierenden Deutschen Meister im Sprint- und Keirin, Stefan Bötticher aus Chemnitz, verzichten, der immer noch seine Sturzverletzungen auskuriert, die er sich beim Nationen-Cup in Cali (Kolumbien) zugezogen hat. So setzt Van Eijden auf die schnellen Beine von Maximilian Dörnbach, Marc Jurczyk und Nik Schröter und hofft mit diesem Trio das kleine Finale zu erreichen, «Das muss unser Ziel sein, auch wenn die Konkurrenz aus den Niederlanden und Frankreich extrem stark ist.»
Für Van Eijden ist es die erste internationale Meisterschaft als neuer Bundestrainer im Kurzzeitbereich. Druck verspüre er deshalb nicht, meint Van Eijden, der viele Jahre erfolgreich als Coach beim britischen Radsportverband gearbeitet hat. «Da wie hier», so Van Eijden, «ich will immer mein Bestes geben.»
Das verspricht auch Emma Hinze, amtierende Sprint-Weltmeisterin aus Cottbus. «Ich bin zuversichtlich für München, meine Form ist gut, aber ich lasse mir noch etwas übrig für die WM. Sie ist der klare Saisonhöhepunkt», sagte Hinze im Vorfeld der European Championships. Die Umstellung auf die kurze Bahn fand auch Hinze «schwieriger als gedacht». Es sei nicht einfach, im Teamsprint seine Linie zu finden. Und der Keirin-Wettbewerb sei eine besondere Herausforderung. «Ich freue mich aber auf eine hoffentlich coole Stimmung in der Halle vor heimischem Publikum. Vielleicht wird es ein bisschen wie Berlin.»
Im BDR freut man sich ebenfalls, zwei Jahre nach den Weltmeisterschaften in der Hauptstadt, wieder vor heimischem Publikum zu fahren. «Ich werde keine Medaillenprognose abgeben, aber wir wollen uns in allen Disziplinen in der erweiterten Weltspitze präsentieren, und das beutet für mich Platz eins bis acht,» sagt BDR-Sportdirektor Patrick Moster.