Noirmoutier (dpa) - Lance Armstrong ist grandios in seinen Final Countdown bei der 92. Tour de France gestartet und hat Jan Ullrich eine bittere Lektion erteilt.
Gleich auf der ersten Etappe seiner letzten Tour offenbarte der sechsfache Rekordsieger alte Dominanz und beendete das 19 Kilometer lange Zeitfahren auf die Atlantikinsel Noirmoutier mit zwei Sekunden Rückstand als Zweiter hinter seinem Landsmann David Zabriskie (20:51 Minuten). Ein wie entfesselt fahrender Armstrong holte den eine Minute vor ihm gestarteten Ullrich 3,5 Kilometer vor dem Ziel ein, was einem Knockout gleichkam. Dieses Malheur passierte Ullrich noch nie in seiner Karriere bei einem Zeitfahren. Die Ehre des T-Mobile-Teams rettete Alexander Winokurow, der 53 Sekunden hinter Zabriskie Dritter wurde.
Ullrich, der auf Armstrong 1:06 Minuten und damit früh schon viel Boden verlor, litt offensichtlich doch mehr an seiner Sturzverletzung vom Vortag, als er selbst und sein Umfeld wahrhaben wollten. Der zwölftplatzierte T-Mobile-Kapitän war in die Heckscheibe seines Begleitwagens gestürzt und hatte sich eine Schnittwunde Milimeter neben der Halsschlagader zugezogen. Er startete mit einem breiten Pflaster über der Wunde. «Natürlich war das heute nicht mein Glückstag. Ich bin schon ein bisschen demoralisiert. Es war nicht schön, von Lance eingeholt worden zu sein, aber das war kein voller Einbruch. Ich habe noch drei Wochen Zeit», sagte Ullrich, der nach dem Rennen einräumte: «Es könnte schon sein, dass mein Sturz eine Rolle gespielt hat. Ich habe ein bisschen Blut verloren.»
Sein alter Rivale Armstrong, wie immer auf den Punkt topfit, erlebte im Gegensatz zu seinem Herausforderer vor den Augen seiner Lebenspartnerin, der Rocksängerin Sheryl Crow, einen wahren Glückstag. «Als ich Jan vor mir gesehen habe, dachte ich: Das läuft ja heute nicht schlecht für mich. Ich hatte von Beginn einen guten Rhythmus. Meine Beine sind stark», sagte Armstrong nach seinem Blitzstart in seine Abschieds-Tour.
David Zabriskie schlug den Favoriten ein Schnippchen und sicherte sich als erster das Gelbe Trikot. Der Amerikaner vom dänischen CSC-Team hatte in dieser Saison schon bei seinem Sieg beim Zeitfahren des Giro d'Italia in Florenz für Aufsehen gesorgt. Der 26-jährige Tour-Debütant, der vom Armstrong-Team zu Bjarne Riis gewechselt war, hatte eine solche Gala-Vorstellung nicht unbedingt erwartet. «Ich habe mich auf der Strecke gar nicht so super gefühlt», sagte der WM-Fünfte Zabriskie. Sein Team-Kollege Jens Voigt (21:55) schwärmte: «Es gibt nicht viele, die so viel Format haben wie David. Wenn er anfängt, an sich zu glauben, wird er ein ganz Großer.»
Enttäuschend verlief der Tour-Auftakt für den Sensations-Zweiten des Vorjahres. Andreas Klöden (22:52) verlor auf Zabriskie 2:01 Minuten und offenbarte alles andere als optimale Form. «Ich bin sehr enttäuscht - mit dieser Zeit kann ich nicht zufrieden sein. Mir lag der Kurs nicht, er war zu flach und zu leicht», sagte ein sichtlich deprimierter Klöden, der eigentlich zu den Spitzenkräften in dieser Disziplin zählt. Im Vorjahr fuhr er im letzten Tour-Zeitfahren in Besancon von Platz drei auf Rang zwei hinter Armstrong vor. Die augenblickliche Verfassung des Wahlschweizers, dem in diesem Frühjahr das erstmals absolvierte Höhentraining nicht bekam, dürfte Ullrich und Winokurow für das Team-Zeitfahren nach Blois nicht unbedingt Mut machen.
Die erste Etappe, die den sonst üblichen Prolog ersetzte, führte von Fromentine über eine 583 Meter lange Brücke auf die Atlantikinsel Noirmoutier. Auf der fast durchweg geraden Strecke war vornehmlich pure Kraft gefordert. Trotzdem kam der bullige Michael Rich (22:04) vom Team Gerolsteiner nicht wie erhofft zum Zug. Der frisch gekürte deutsche Meister und dreifache Vize-Weltmeister im Zeitfahren hatte vergeblich vom Gelben Trikot zum Tour-Auftakt geträumt. «Dass einer vor mir war, kann ich akzeptieren, aber nicht, dass es gleich mehrere waren», meinte Rich enttäuscht.