Berlin (dpa) - Die Rolle des unnahbaren Radsport-Roboters spielt Lance Armstrong schon wieder perfekt, obwohl die 90. Tour de France noch gar nicht angefangen hat.
Kaum jemand zweifelt daran, dass Armstrong als fünfter Radprofi nach Jacques Anquetil, Eddy Merckx, Bernard Hinault und Miguel Indurain am 27. Juli zum fünften Mal die Tour gewinnen wird und als einziger neben Indurain diese Siege in ununterbrochener Reihenfolge schaffen wird. Wieder steht die «Tour de Lance» bevor.
«Deswegen wache ich morgens nicht auf», sagt der Texaner und betont wohl auch als Selbstschutz, er werde seine neunte Tour so angehen wie die erste. «Ich bin nicht besessen davon, diesen Rekord einzustellen oder zu überbieten. Aber ich bin besessen davon, diese Tour zu gewinnen. Wenn ich 40, 50, 60 oder sogar 90 bin, werde ich mich hoffentlich zurücklehnen, ein Bier trinken und zählen. Jetzt ist nicht die Zeit dazu», erklärt der 31-Jährige. Dem widerspricht sein persönlicher Trainer Chris Carmichael: «Lance motiviert die Aussicht, in die Geschichtsbücher zu kommen. Aber er weiß, dass man nicht an den sechsten Sieg denken kann, bevor man den fünften geschafft hat.»
Viel hatte zunächst gar nicht darauf hingedeutet, dass Armstrong einmal die Chance haben würde, zum größten Tour-Patron aufzusteigen. Von 1993 bis 1996 kam er bei seinen vier Teilnahmen nur einmal ins Ziel und landete dabei auf Platz 36. Nur durch die beiden ersten seiner mittlerweile 15 Etappensiege fiel Armstrong auf, ehe er nach seiner überstandenen Krebserkrankung 1999 zurückkehrte und eines der größten Comebacks der Sportgeschichte feierte.
Die US-Zeitschrift «Sports Illustrated» kürte ihn im Vorjahr zu ihrem Sportler des Jahres, vor einigen Wochen bekam er in Monte Carlo einen «Laureus»-Preis als Weltsportler des Jahres. Dort zeigte sich der Familienmensch nach mehrmonatiger Trennung demonstrativ wieder mit seiner Frau Kristin, die nach Sohn Luke vor anderthalb Jahren die Zwillinge Isabelle Rose and Grace Elizabeth zur Welt brachte.
Auf den Rennstrecken zeigte sich der seit einiger Zeit nicht mehr in Südfrankreich sondern an der Costa Brava lebende Armstrong nur gelegentlich und gab der Tour-Vorbereitung den Vorzug. Dass sie wie üblich gewissenhaft ist, bewies Armstrong jüngst mit seinem erneuten Sieg bei der Rundfahrt Dauphiné Libéré, wo er das Einzelzeitfahren überlegen für sich entschied, aber auch stürzte.
Jan Ullrich fühlt sich nach seinem Comeback nicht stark genug, um den Seriensieger heraus zu fordern. Der lobte jedoch: «So gut wie in diesem Frühjahr war seine Form noch nie.» Anders als Ullrich nahm Giro-Gewinner Gilberto Simoni den Mund ziemlich voll. Der Champion reagierte darauf gelassen. «In jedem Jahr gibt es jemanden, der sagt, dass er mich schlagen kann. Ich ziehe es vor, still zu sein und meine Arbeit zu machen.»
Sie ist so seriös, dass der einstige US Postal-Teamkollege Tyler Hamilton gestand: «Ich versuche, seine Schwachstellen zu finden. Aber das Unglaubliche ist: Er hat keine.» Der ehemalige Telekom-Profi und Tour-Sieger Bjarne Riis meint bei allem Respekt aber: «Er kann krank werden, stürzen oder einfach einen schlechten Tag haben wie alle anderen auch.»
Armstrong ist bewusst, dass er sich mit seiner berechnenden amerikanischen Art nur schwer in die Herzen der Franzosen fahren kann - zumal die transatlantischen Beziehungen derzeit unter keinem guten Stern stehen. «Ich kann mich nicht dazu zwingen, zu singen und zu tanzen», meint der Favorit. «Ich ziehe keine Show ab und werde dann 38., ich ziehe den Typ vor, der für seinen Sport stirbt und gewinnt.»