St. Etienne (dpa) - Lance Armstrong ließ es zum Abschied mächtig krachen, Jan Ullrich sicherte sich Rang drei und Ivan Basso zitterte sogar noch um seinen zweiten Platz im Gesamtklassement.
Der Rekordsieger war seiner Zeit auch wieder voraus und holte seinen ersten diesjährigen Etappensieg vor Ullrich. «Ich bin zufriedener denn je», sagte der Texaner, «ich hatte eine perfekte Karriere.» Dem geschlagenen Deutschen bescheinigte er: «Ullrich könnte die Tour noch mehr als einmal gewinnen - mit ein bisschen mehr Training und etwas weniger Gewicht. Er hat die Tour immer an den ersten zehn Tagen verloren.»
Das Zeitfahren in St. Etienne über 55,5 Kilometer war wie die Tour de France im Kleinformat: Armstrong, der sich auf den Pariser Champs Elysées als siebenfacher Toursieger in den Ruhestand verabschieden wird, ließ der Konkurrenz auf der 20. Etappe keine Chance. Er gewann das letzte Zeitfahren seiner Karriere mit einem Stundenmittel von fast 46 Kilometern. «Ich gratuliere Armstrong, er war absolut souverän», erkannte Ullrich die Überlegenheit des Amerikaners an.
«Für mich ging es heute um den Etappensieg und Platz drei», sagte Ullrich, «leider habe ich den Tagessieg um 23 Sekunden verpasst.» Dennoch war er «mit der Tour zufrieden, weil ich mir die ganze Sache nach den beiden Stürzen auch aus dem Krankenhaus hätte ansehen können. Ich hatte großes Glück.»
Unglaubliches Pech hatte der von Ullrich im Gesamtklassement überholte Mickael Rasmussen, der zwei Mal stürzte, drei Defekte zu verkraften hatte und bis auf Rang sieben im Gesamtklassement durchgereicht wurde. Der vor dem Tourstart und in den Vogesen gestürzte Ullrich setzte den Aufwärtstrend der vergangenen Tage fort und kämpfte sich verbissen an Rasmussen vorbei. Der T-Mobile-Kapitän nahm dem Dänen im Bergtrikot 7:24 Minuten ab. Das reichte locker, um nach Rang vier im Vorjahr diesmal in Paris wenigstens auf's Treppchen zu klettern. «Das ist die größte Freude, dass ich das heute trotz meiner zwei Stürze vor und während der Tour noch auf den dritten Platz geschafft habe», sagte Ullrich im Ziel.
Rasmussen erlebte einen schwarzen Tag, stürzte nach sechs Kilometern in einem Kreisverkehr, hatte danach noch drei Defekte und verpasste bei einer Abfahrt eine Kurve. Schon der erste Sturz brachte ihn völlig aus dem Rhythmus und die Sekunden purzelten zu Gunsten Ullrichs, der den Rückstand zum Dänen auf halber Strecke schon egalisiert hatte. Danach stoppte Rasmussen fast im Drei-Minuten-Takt und wurde von dem sechs Minuten nach ihm gestarteten Armstrong überholt.
Vor den Augen seiner drei Kinder, die auch beim Warmfahren auf der Rolle an seiner Seite waren, flog Armstrong regelrecht über den sehr anspruchsvollen Kurs. «Die Strecke war ein Albtraum», klassifizierte der dreifache Zeitfahr-Vize-Weltmeister Michael Rich die Strecke mit dem Achterbahn-Profil. Bei der ersten Zwischenzeit nach 17 Kilometer lag überraschend Basso sieben Sekunden vor Armstrong. Aber Basso hatte sich übernommen und erlitt nach seinem Blitzstart einen Einbruch, der ihn beinahe noch Platz zwei gekostet hätte.
Armstrong nimmt die letzten 144,5 Tour-Kilometer seiner Laufbahn mit einem beruhigenden 4:40 Minuten-Vorsprung vor dem Italiener Ivan Basso und 6:21 Minuten vor Ullrich in Angriff. Diese Abstände werden auch am letzten Tour-Tag Bestand haben, weil die 21. Etappe stets als «Schaulaufen» gilt, auf der im Finale nur noch die Sprinter für Furore sorgen. Angriffe auf das Gesamtklassement wird es zwischen Corbeil-Essonnes und Paris nicht mehr geben. Armstrongs Erfolg in St. Etienne war sein insgesamt 22. Etappensieg bei der Tour seit 1993. Levi Leipheimer (USA) vom Team Gerolsteiner rückte auf den 5. Platz im Gesamtklassement vor.
Ullrich hatte an St. Etienne beste Erinnerungen: 1997, im Jahr seines Toursiegs, gewann er an gleicher Stelle das Zeitfahren, bei dem er über sich hinaus wuchs und den vor ihm gestarteten Franzosen Richard Virenque überholte.