Marseille (dpa) - Chris Froome konnte sich schon am Samstag das erste Glas Champagner gönnen. Auf den letzten 103 Kilometern der 104. Tour de France kann dem Träger des Gelben Trikots - abgesehen von einem schweren Sturz - nichts mehr passieren.
«Bis nach dem Zeitfahren konnte ich nicht sicher sein. Jetzt weiß ich es», sagte der 32 Jahre alte Brite in Marseille, der seinen vierten mutmaßlichen Erfolg nach 2013, 2015 und 2016 als den «am härtesten erkämpften» bezeichnete. Aber er erkannte nach dem nervenaufreibenden Sekunden-Poker über drei Wochen: «Es wir nicht leichter. Man wird nicht jünger.»
Der schmale Brite geht am Sonntag mit 54 Sekunden vor dem zweitplatzierten Rigoberto Uran aus Kolumbien und 2:20 Minuten Vorsprung vor dem Franzosen Romain Bardet auf die letzten Kilometer. Im spektakulären Zeitfahren über 22,5 Kilometer mit Start und Ziel im Fußball-Stadion von Olympique Marseille verpasste Froome seinen ersten diesjährigen Etappensieg um sechs Sekunden. Er musste dem Polen Maciej Bodnar vom deutschen Bora-hansgrohe-Team, das den zweiten Etappensieg feierte, den Tagessieg überlassen und mit Rang drei zufrieden sein.
Das große Duell um die Podiumsplätze hinter Froome entschied Uran für sich, obwohl er in der letzten Kurve vor der Einfahrt ins Stadion fast noch gestürzt wäre. Der restlos überforderte Bardet, der als Superkletterer sogar auf dem einzigen giftigen Anstieg des Tages Zeit verlor, konnte den dritten Podiumsplatz um eine Sekunde vor dem Spanier Mikel Landa retten. In der Tageswertung fuhr er nur auf den 52. Platz.
Zu den Verlierern gehörte neben den direkten Froome-Verfolgern auch Tony Martin. Der viermalige Zeitfahr-Weltmeister landete in seiner Spezial-Disziplin nur auf Rang vier 14 Sekunden hinter Tagessieger Bodnar und bleibt bei der Tour 2017 ohne Etappensieg.
Die Frankreich-Rundfahrt geht ohne Happy-End für ihn zu Ende. Sie begann vor drei Wochen im verregneten Düsseldorf mit dem verpassten Gelben Trikot im ersten Zeitfahren über 14 Kilometer. Martin war dort gleichfalls nicht über den vierten Rang hinaus gekommen. Am Samstag am Mittelmeer lief es auf der mit der knackigen Steigung Richtung Notre-Dame de la Garde garnierten Strecke auch nicht besser.
«Das ist enttäuschend. Ich muss das jetzt erstmal sacken lassen. Die Form war nicht schlecht, aber ich muss akzeptieren, das wieder andere schneller waren», sagte ein deprimierter Martin.
Aus dem ganz großen Spektakel am vorletzten Tourtag wurde nichts. Das aufwendig mit zwei 170 Meter langen Asphalt-Streifen aufgerüstete Stade Vélodrome war trotz freien Eintritts nur zu einem knappen Drittel gefüllt. Die Veranstalter hatten mit einem ausverkauften Haus und über 67 000 Zuschauern gerechnet. Trotzdem bebte das Stadion, als Bardet einfuhr, auch, wenn klar war, dass er Froome nicht mehr gefährden könnte. Martin fand die Show «grandios, neben dem Start in Düsseldorf das I-Tüpfelchen dieser Tour».
Sky-Kapitän Froome trat nicht mit dem speziell für das Zeitfahren konzipierten Trikot mit den kleinen Luftpolster-Pfropfen an den Armen und am Rücken an. In Düsseldorf hatte die Vortex-Spezialkleidung unter der Konkurrenz noch zu Protesten geführt, obwohl der Weltverband UCI keine Bedenken angemeldet hatte. Diesmal musste Froome das vom Veranstalter gestellte Gelbe Trikot tragen.