Wollongong (rad-net) - Ricarda Bauernfeind hat bei der Straßen-Weltmeisterschaft in Wollongong ihre zweite Medaille gewonnen. Im Straßenrennen der Frauen war sie drittbeste U23-Fahrerin und sicherte sich damit erneut Bronze. Unterdessen holte sich die Niederländerin Annemiek van Vleuten den WM-Titel zurück. Liane Lippert fuhr nach einem offensiven Rennen auf den undankbaren vierten Platz.
Van Vleutens zweiter WM-Titel im Straßenrennen ist umso erstaunlicher, nachdem sie sich am Mittwoch bei ihrem Sturz in der Mixed-Staffel den Ellenbogen gebrochen hatte. Lange stand ein Fragezeichen hinter ihrem Start, doch nachdem sie grünes Licht bekam, stellte sie sich ganz in die Dienste ihrer Mannschaft um Kapitänin Marianne Vos. «Ich kann es gar nicht glauben. Ich warte noch auf den Moment, in dem mir jemand sagt, dass ist ein Irrtum», sagte Van Vleuten vor der Siegerehrung. «Bevor ich mir den Ellenbogen gebrochen hatte, wollte ich eigentlich ein Yorkshire 2.0 machen und schon am Mount Keira attackieren. Aber das ging ja nicht mehr. Ich war eigentlich nur Helferin - mit einem gebrochenen Ellenbogen. Jetzt bin ich Weltmeisterin.» 2019 hatte sich Van Vleuten ihren ersten WM-Titel im Straßenrennen nach einem 100-Kilometer-Solo geschnappt, nachdem sie am zweiten längeren Anstieg angegriffen hatte.
Doch bevor es dazu kam, gab es erst einmal mehrere Angriffe aus dem Feld. Direkt nach dem Start des 164,3 Kilometer langen Rennens setzte sich Gladys Verhulst (Frankreich) ab, wurde aber - genauso wie drei Verfolgerinnen - am 6,5 Kilometer langen Mount Keira wieder eingeholt. Zwar fielen an dem Berg einige Fahrerinnen zurück und das Feld dezimierte sich erheblich, eine Vorentscheidung fiel dort jedoch nicht. Auf der Ebenen wieder angekommen, bildete sich mit Julie van de Velde (Belgien), Elynor Bäckstedt (Großbritannien) und Caroline Andersson (Schweden) eine neue dreiköpfige Ausreißergruppe, die das Rennen die kommenden 55 Kilometer prägte. 35 Kilometer vor dem Ziel versuchte es dann Sarah Roy (Australien), aber auch ihre Attacke war nicht von Erfolg geprägt. Inzwischen hatte es außerdem begonnen zu regnen.
25 Kilometer vor dem Ziel verschärfte Italien am Mount Pleasant das Tempo und die Situation nutzten Liane Lippert und Elisa Longo Borghini (Italien), um sich gemeinsam mit Katarzyna Niewiadoma (Polen), Cecilie Uttrup-Ludwig (Dänemark) und Ashleigh Moolman-Pasio (Südafrika) abzusetzen, während das Feld komplett auseinanderfiel. Lippert fuhr heute eines der besten Rennen ihres Lebens. Immer wieder zeigte sich die starke Deutsche in der ersten Reihe, gestaltete das Rennen mit großem Kampfgeist und bemerkenswerter Offensivität mit. Entsprechend hatte das Quintett schnell eine halbe Minute Vorsprung auf die Verfolgerinnen, doch die fanden wieder zusammen und unter dem Tempodiktat der Niederländerinnen und Australierinnen wurden Lippert und Co. 13 Kilometer vor dem Ziel wieder gestellt - mit dabei war auch immer noch Bauernfeind.
Daraufhin griff Marlen Reusser (Schweiz) alleine an. Auch sie hatte schnell 20 Sekunden Vorsprung. Aber ihre Flucht war acht Kilometer vor dem Ziel am Mount Pleasant beendet, denn es setzte sich wieder dieselbe fünfköpfige Gruppe um Lippert, die an diesem Tag eine der stärksten Fahrerinnen zu sein schien und wieder maßgeblich an der Tempoarbeit beteiligt war, ab. Dieses Mal waren sich die fünf Fahrerinnen aber nicht richtig einig, denn außer Lippert wollte keine Fahrerin so recht die Führungsarbeit leisten. Der Vorsprung pendelte lange um zehn Sekunden, denn dieses Mal machten die Schweizerinnen bei den Verfolgerinnen das Tempo. Einen Kilometer vor dem Ziel wurden die fünf Ausreißerinnen deshalb auch wieder von siben Fahrerinnen eingeholt.
Und diese Situation machte sich Annemiek van Vleuten zu Nutze. Sie hatte sich weit hinten in der Gruppe eingereiht. Als das Tempo etwas verschleppt wurde, beschleunigte sie rund 500 Meter vor dem Ziel im Sitzen, flog an der Gruppe vorbei und wurde nicht mehr eingeholt. Mit wenigen Metern Vorsprung konnte die 39-Jährige ihren zweiten WM-Titel im Straßenrennen nach 2019 feiern. «Eigentlich hatte ich auf Marianne Vos gewartet und fand mich dann in der Verfolgergruppe wieder. Aufgrund meines gebrochenen Ellenbogens konnte ich nicht sprinten. Also habe ich es weit vor der Ziellinie probiert. Und sie haben mich einfach nicht mehr eingeholt», beschrieb Van Vleuten die entscheidende Szene.
Hinter ihr spurteten Lotte Kopecky (Belgien) und Silvia Persico (Italien) auf die Plätze zwei und drei, Liane Lippert überquerte nach einem starken Rennen als undankbare Vierte den Zielstrich. «Es ist frustrierend. Ich habe gewusst, wenn die Gruppe durchkommt, habe ich Chancen aufs Regenbogentrikot. Ich hatte auch das Gefühl, dass ich die stärkste der Gruppe war. Ich wollte unbedingt aufs Podium, habe alles gegeben. Ich war bereit zu 100 Prozent alles zu geben, aber die anderen haben sich geschont und die Verfolger konnten aufschließen. Verstehen kann ich das nicht, aber das ist eben Radsport. Im Sprint habe ich zu früh angetreten, weil ich mich noch extrem gut und stark gefühlt habe. Leider hat es nicht gereicht zu einer Medaille, aber ich hatte unterwegs ohnehin von mehr geträumt. Es ist jetzt so wie es ist», sagte Lippert nach dem Rennen.
Als beste U23-Fahrerin kam Niamh Fisher-Black aus Neuseeland auf Rang zwölf liegend ins Ziel und sicherte sich damit das Regenbogentrikot. Als 16. gewann Pfeiffer Georgi (Großbritannien) die Silbermedaille und Ricarda Bauernfeind holte sich als Gesamt-20. ihre zweite Bronzemedaille, nachdem sie im Einzelzeitfahren der U23 bereits eine gewinnen konnte. «Jetzt noch eine zweite Bronzemedaille ist ein guter Abschluss dieser WM. Ich habe gar nicht nach der U23-Wertung geschaut, der Fokus lag ganz klar auf Liane. Sie war definitiv heute die stärkste und hätte den Titel verdient. Ich konnte ihr im Finale leider nicht mehr helfen», erklärte Bauernfeind.
Frauen-Bundestrainer André Korff bilanzierte: «Die Enttäuschung ist groß, Liane hat alles investiert und wurde leider nicht belohnt. Aber das muss man so hinnehmen. Dass Ricarda Bronze in der U23-Wertung holen konnte, ist erfreulich. Sie ist noch nie ein Rennen mit dieser Distanz gefahren.»