Nizza (dpa) - Das Startvillage auf dem Platz Massena im Herzen von Nizza war mit einer schwarzen, drei Meter hohen Wand abgetrennt. «Acces interdit» - Zutritt strengstens verboten.
Auch auf der berühmten Promenade des Anglais ging 150 Meter vor der Ziellinie nichts mehr. Der Radsport schottet sich ab - notgedrungen. Einige hartgesottene Fans stiegen auf die Mülleimer einer Fast-Food-Kette, um einen Blick vom Geschehen zu erhaschen. Natürlich mit Maske, sonst sind 135 Euro Strafe fällig. So sieht es aus, wenn die Tour de France in Zeiten von Corona durch das Land rollt.
Der Sport zum Anfassen geht auf Distanz, lebt in seiner eigenen Blase. Das sind die Bedingungen, wenn der Tross irgendwie in drei Wochen Paris erreichen will. Vieles ist provisorisch. Natürlich gab es auch Lücken. Auch die schwarze Wand reichte nicht aus, um den kompletten Wagenpark der 22 Teams zu umhüllen. Und so standen die Fans dann auch keinen Meter entfernt vom Bora-hansgrohe-Bus. Aufgehalten waren sie zwar von einer Barriere, der Atem aus ihren Mündern konnte aber frei ins Fahrerlager herüberwehen.
An den Athleten selbst lag es nun, nicht zur den Zuschauern zugewandten Seite ihrer Fahrzeuge zu kommen. Das beherzigten sie auch. Keine Autogramme wurden gegeben, keine Selfies inszeniert, keine Basecaps und andere Goodies herausgegeben. Die Blase blieb an dieser Stelle dicht.
Die Stadtväter von Nizza und auch Tour-Organisator ASO hatten seit Tagen die Bevölkerung auf diese Verhaltensweise eingeschworen. Immer wieder traf man auf Piktogramme, die an das Kontaktverbot mit der 660 Menschen umfassenden Teamblase erinnerten. Auch bei Stürzen, von denen es reichlich gab, sollen die Fans auf ihre Hilfsbereitschaft verzichten. Die Massenerziehung trug Früchte. Die Distanz blieb selbst dort gewahrt, wo die Absperrelemente nicht mehr ausreichten. «Wir wollen der Welt ein Beispiel geben. Wir wollen zeigen, dass auch unter den Bedingungen der Pandemie solche Veranstaltungen möglich sind», erklärte Nizzas Bürgermeister Christian Estrosi.
Zehn Jahre lang hatte er bei der ASO um einen Grand Depart geworben. Als er ihn hatte, kam die Pandemie - und zerstörte alle Träume von einem touristischen Boom. Jetzt ist der Bürgermeister auch mit Peanuts zufrieden. «Unsere Hoteliers haben durch die Tour eine etwas verlängerte Saison. 13.000 Übernachtungen bis Montag gibt es allein durch die Tour», sagte er der lokalen Tageszeitung «Nice Matin».
In Zeiten, in denen nur wenig normal scheint, in Zeiten auch, in denen die Infektionszahlen weiter nach oben schnellen, sind das für die lokale Ökonomie kleine erleichternde Signale. Allerdings musste auch die Tour auf die sich verschärfende Situation regieren. Die Besucherströme an Start und Ziel und auch an den Bergwertungen wurden weiter reduziert. Das hatte Einfluss auf die Stimmung. Frenetische Anfeuerungen waren nicht zu hören. Auch die klassischen Klatschpappen und Trillerpfeifen fehlten. Die Werbekarawane fuhr zwar wie gewohnt dem Peloton voran. Aber nur wenige hatten die Erlaubnis, Geschenke zu verteilen. Es war ein gedrückter, ein nachdenklicher Auftakt.
Auf politischen Druck musste die ASO auch wieder die Regelung verschärfen, wonach eine Mannschaft ausgeschlossen wird, wenn im gesamten Team inklusive Umfeld innerhalb von sieben Tagen zwei Positivfälle auftreten. Ursprünglich sollte dies nur die Fahrer betreffen.
Und was passiert, wenn die Pandemie in Frankreich weiter ausufert? «Wir müssen uns immer der Situation anpassen und entsprechend Entscheidungen treffen», sagte der auch für den Sport zuständige Minister Jean-Michel Blanquer bei seinem Kurzbesuch. Momentan sei die Hypothese eines Tour-Abbruchs «sehr schwach», sagte Blanquer und schob nach: «Aber es ist immer alles möglich.» Die frühe Lockdown-Metapher «auf Sicht fahren» wird bei diesem rollenden Radevent wieder ganz aktuell.
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