London (dpa) - Teenager im Radsportfieber sausen dieser Tage mit Perücken samt Koteletten durch London. Sie wollen so sein wie der coole, neue Volksheld Bradley «Wiggo» Wiggins. Und sie sind nicht die einzigen.
Auch der Absatz an Rennrädern an Männer mittleren Alters schnellte laut «Daily Telegraph» im Königreich nach oben. Premier David Cameron gratulierte dem ersten britischen Tour-de-France-Sieger zu «einem der Highlights der britischen Sportgeschichte» und schwärmte in der BBC: «Ich denke, das ganze Land möchte ihm sagen: "Gut gemacht, brillant". Das ist die perfekte Kulisse für Olympia.»
Tennisstar Andy Murray hatte mit seiner Finalteilnahme in Wimbledon - der ersten eines Briten seit 1938 - den ersten Aufschlag zum Super-Sportsommer gemacht. Nun hat sich auch noch ein Brite zum «König von Frankreich» («The Independent») gekrönt.
Just in Wiggins' Heimatstadt London, in der zuletzt Kneipen Public- Viewing-Veranstaltungen von der Tour anboten und Menschen im knallgelben Jersey mitfieberten, beginnen am Freitag die XXX. Sommerspiele. Erste Forderungen aus der Politik wurden bereits laut, dass «Wunder Wiggo» nun auch die olympische Flamme der Eröffnungsfeier entzünden solle. «Wenn ich hundertprozentig ehrlich bin, geht es jetzt um Gold oder gar nichts für mich in London», sagte der Zeitfahrspezialist auf der Straße, der bereits dreifacher Olympiasieger auf der Bahn ist.
Nach Gelb soll also Gold her - Geld gibt's obendrauf: Britische Marketing-Experten schätzen, dass ihm allein im nächsten Jahr rund fünf Millionen Pfund (6,4 Millionen Euro) an Extra-Werbeeinnahmen winken. Und mit einem Ritterschlag durch die Queen darf er sowieso rechnen.
Die Ehrung bekam bereits Wiggins' früherer Bahnrad-Kollege Sir Chris Hoy als dreifacher Goldmedaillengewinner von Peking. Hoy, der die britische Flagge bei der Eröffnungsfeier tragen soll, hatte den bevorstehenden Triumph seines Freundes vor einigen Tagen bereits überschwänglich als die «größte Leistung eines britischen Sportlers jemals» bezeichnet. Victoria Pendleton, der weibliche britische Bahnradstar, nannte Wiggins «eine lebende Legende».
Eine Bahnrad-Sportnation ist Großbritannien längst - Hoy und Pendleton sind TV-Quoten-Garanten und Top-Werbegesichter. In der Welt des Straßenradsports waren die Briten lange Außenseiter. «Bradley Wiggins ist unser Greg LeMond», schreibt «The Times» in Anspielung auf den Tour-de-France-Triumph des Amerikaners von 1986. LeMond war die Initialzündung in den USA. In Deutschland kam der Boom fast aus heiterem Himmel, als Jan Ullrich 1997 als erster Deutscher die Tour gewann und danach zunächst zum absoluten Popstar aufstieg.
Auch Wiggins könnte dies gelingen: Londons Bürgermeister Boris Johnson macht mit Leidenschaft PR fürs Radeln in seiner angesichts des Verkehrs kollabierenden Stadt und prophezeit, dass die britische Dominanz bei der Tour «Tausende ermutigen wird, aufs Zweirad umzusteigen».
Obendrein ist der 32-jährige Wiggins ein cooler Hund: Der Mann, der von seinem Radfahrer-Vater als Kind verlassen wurde und in seiner Karriere selber mit dem Alkohol zu kämpfen hatte, sammelt Motorroller und Gitarren, verehrt The Who und Paul Weller, den «Godfather of Britpop». Außerdem gilt er als penibel modebewusst - im Stile der 60er Jahre. Für das Label Fred Perry entwarf er Rad-Shirts im Retro-Look. Der «Mail on Sunday» zufolge hat er nun die «berühmtesten Koteletten seit Elvis Presley».