Berlin (dpa) - Die Veröffentlichung der USADA-Dopingakten im Fall Armstrong bringen immer mehr Radprofis und Teamchefs zum Reden. Bei den Verantwortlichen des ehemaligen deutschen Vorzeige-Rennstalls Telekom/T-Mobile findet aber keine Vergangenheitsbewältigung statt.
Auch im harten Konkurrenzkampf zu Lance Armstrong «hatten wir nie Zweifel», im eigenen Team dopingfrei unterwegs zu sein, sagte Jürgen Kindervater im Rückblick. Der jetzt 67-Jährige war von 1990 bis 2002 Leiter der Konzern-Kommunikation im Bonner Unternehmen und Erfinder der magentafarbenen Radsport-Marke, unter der der einzige deutsche Tour-de-France-Sieger Jan Ullrich zum großen Star wurde. Kindervater hatte auch das Sponsoring von Bayern München eingeleitet.
«Die ärztliche Versorgung unserer Fahrer unterstand der Uniklinik Freiburg, die auch die Olympiamannschaft betreute. Sie hatte für uns den Status des Bundesgerichtshofs», erklärte Kindervater der Nachrichtenagentur dpa am Sonntag.
Durch die Übertragung der medizinischen Verantwortung nach Freiburg meinte die Bonner Chefetage den größtmöglichen Sicherheitsstandard gegen Doping-Verfehlungen erreicht zu haben. Bekanntlich irrte sie gewaltig. Die Klinik- und Teamärzte Lothar Heinrich und Andreas Schmid waren in die Doping-Praktik involviert, die offensichtlich auch bei Telekom und T-Mobile gang und gäbe war.
Ex-Teamchef Rudy Pevenage hatte das verbotene Vorgehen kürzlich in einem «L'Équipe»-Interview quasi als Notwehr gegen das übermächtige System Armstrong verteidigt. «Wir wollten alle das Rezept, dasselbe wie Armstrong. Wieso sind wohl alle seine Rivalen von damals, Botero, Beloki, Sevilla, Ullrich, Basso, Hamilton, Winokurow, danach gestürzt? Sie wollten es so machen wie er, aber hatten nicht die gleichen Mittel und waren vor allem nicht so beschützt», hatte Pevenage erklärt, der 2006 wegen der Doping-Affäre Fuentes aus dem Radsport verbannt worden war und nur eine kurze Renaissance in den USA erlebte.
Sein Schützling Jan Ullrich wollte sich zu den Veröffentlichungen der Akten der US-Anti-Dopingbehörde USADA gegen Armstrong nicht äußern. Seine Wortmeldung nach dem Urteil des Internationalen Sportgerichtshofes CAS gegen ihn vom Februar 2012, in der er vage lediglich «Fehler» und Kontakte zu Fuentes eingeräumt hatte, markierten den «Schlussstrich», erklärte Ullrich-Manager Falk Nier.
«Er möchte dazu nichts mehr sagen. Und das, was Pevenage erklärt hatte, war ja eigentlich nichts Neues», sagte Nier, der den noch bis August 2013 gesperrten Wahlschweizer zuletzt zur Karriere-Abschiedsparty des ebenfalls dopingbelasteten Olympiasiegers Alexander Winokurow nach Monte Carlo begleitet hatte.
Kindervater, Leiter einer Werbeagentur in München, zeigte sich überrascht über die «Systematik» des Armstrong-Betruges. «Hätten wir Zweifel gehabt im eigenen Team, dass nicht alles korrekt läuft, hätten wir sofort die Reißleine gezogen», sagte der einstige «Macher» der Telekom-Mannschaft, der 1995 den späteren Tour-Sieger Bjarne Riis ins Team holte und den Weg ebnete zum Ullrich-Boom. Es müsse laut Kindervater jetzt auf Ebene der Verbände «Konsequenzen» geben. Aber diese nur für den Radsport zu fordern, sei laut Kindervater zu kurz gedacht: «Der Spitzensport ist versaut.»
Telekom engagierte sich seit 1991 im Radsport. Nach der Affäre Fuentes, in die die Profis Ullrich, Oscar Sevilla und Teamchef Pevenage verstrickt waren, zogen sich die Bonner 2007 aus der Problembranche zurück.