Tokio (rad-net) - Am Freitag werden die Olympischen Spiele in Tokio eröffnet, und eine der ersten Entscheidungen fällt am Samstag im Straßenrennen der Männer. Maximilian Schachmann ist Deutschlands große Medaillenhoffnung und trainiert bereits seit zehn Tagen auf den Straßen in Tokio. Auch die zweifache amtierende Deutsche Meisterin Lisa Brennauer hofft auf einen guten Start bei ihren dritten Olympischen Spielen.
«Trotz der Pandemie und der Widerstände gegen die Spiele sind wir sehr gastfreundlich empfangen worden» sagte Maximilian Schachmann nach seiner Ankunft in der japanischen Hauptstadt. Gemeinsam mit Nikias Arndt, seinem Sportlichen Leiter Jens Zemke und einigen Betreuern ist er bereits seit Montag vergangener Woche in Tokio, um sich optimal vorzubereiten. Die beiden übrigen Starter im Straßenrennen der Männer, Emanuel Buchmann und Simon Geschke, sind direkt nach Beendigung der Tour de France nach Japan gereist. Welche Vorbereitung letztlich die bessere war, wird sich erst im Rennen am kommenden Samstag zeigen.
Schachmann hat die Variante mit der längeren Anpassung gewählt und sich sehr konzentriert vorbereitet. Der Verzicht auf die Tour de France und längere Trainingslager in der Höhe von Andorra und in der Sierra Nevada gehörten dazu. Schachmann ist zuversichtlich, die Form stimmt, und er geht sehr ambitioniert ins Rennen.
«Ich bin sicher nicht der Topfavorit, aber es ist ein Kurs, auf dem ich durchaus Chancen habe», sagt Schachmann. Nach den ersten Trainingseinheiten auf dem Kurs weiß der Berliner, was auf ihn zukommt. «Das wird ein sehr schweres Rennen. Insbesondere der Anstieg zum Mikuni Pass ist extrem steil, was sicherlich Bergfahrer bevorteilt», so der Berliner. «Für mich wird es darum gehen, am letzten Berg in der Favoritengruppe zu sein oder bis dahin nicht zu viel Zeit zu verlieren, so dass ich wieder aufschließen kann. Dann ist vieles möglich.» Schachmann kennt die Tücken der Rennstrecke. «Sie ist technisch sehr anspruchsvoll, viele kleine Straßen, im Finale sehr kurvig, einige Kuppen. Da ist man schnell aus dem Sichtfeld. Wenn ich im Finale dabei bin, dann muss ich meinem Renninstinkt folgen», so der Berliner. Ein weiteres Problem sieht Schachmann in den klimatischen Bedingungen: «Es ist heiß, aber nicht extrem heiß. Das größere Problem ist die hohe Luftfeuchtigkeit, die dafür sorgt, dass sich die Temperaturen heißer anfühlen als sie eigentlich sind. Man schwitzt extrem.»
Neben Schachmann werden Emanuel Buchmann, Nikias Arndt und Simon Geschke das Olympische Straßenrennen bestreiten, das einer Bergetappe der Tour gleichkommt. 234 Kilometer müssen die Männer zurücklegen und sich dabei über 4865 Höhenmeter quälen. Die erste Hälfte entspricht topographisch einem Klassikerkurs, nach 140 Kilometern wird es aber steil: 14,7 Kilometer geht es bei einer durchschnittlichen Steigung von 5,6 Prozent bergauf zum Fuji Sanroku. Dort wird sich schon einmal die Spreu vom Weizen trennen. Die Vorentscheidung fällt dann nach 200 Kilometern am 1451 Meter hohen Mikuni Pass: Auf einer Länge von 6,5 Kilometern sind im Schnitt 10,6 Prozent zu bewältigen. Danach geht es nur eine ganz kurze Verschnaufpause, ehe der Schlussanstieg, 2,2 Kilometer lang und 5 Prozent steil, hinauf zum Kagosaka Pass wartet. Die acht Kilometer lange Abfahrt Richtung Ziel verlangt volle Konzentration, immerhin haben die Fahrer dann schon fast 230 Kiloemter in den Beinen. Außerdem sind die Straßen schmal, die letzten drei Kilometer noch einmal wellig.
«Sich allein am letzten Berg abzusetzen ist eine Option, aber die lange Abfahrt danach macht es schwierig, da können wieder einige aufschließen. Es wird jedenfalls ein verdammt hartes Rennen», sagt Jens Zemke, der als Sportlicher Leiter das Team der Männer betreuen wird. «Die äußeren Bedingungen werden auch eine Rolle spielen. Wir müssen mit großer Hitze und Schwüle rechnen», weiß Zemke, der dann auch eine Chance für Emanuel Buchman sieht. «Man wird sehen, wie er die Tour verkraftet hat.»
Schachmann sieht in dem Belgier Remco Evenepoel einen Hauptkonkurrenten, aber auch die Kolumbianer und Slowenen werden sich stark präsentieren: Tour-Sieger Tadej Pogacar oder Primoz Roglic, die Kolumbianer Egan Bernal und Esteban Chaves, der Brite Geraint Thomas, Richard Carapaz oder Titelverteidiger Greg van Avermaet, der in Rio Gold holte. Sie alle sind dem Kreis der Favoriten zuzurechnen.
Brennauer: Drei Starts in Tokio
Die Frauen fahren einen Tag nach den Männern um Olympisches Edelmetall. Die Strecke entspricht dem ersten Teil des Männerrennens. Die letzten schweren Berge bleiben den Frauen auf ihren 137 Kilometern erspart, allerdings haben auch sie 2692 Höhenmeter zu bewältigen. «Die Strecke ist topographisch und auch technisch sehr anspruchsvoll», sagt Bundestrainer Korff, der gleich mit zwei Medaillenhoffnungen ins Rennen geht. «Die Anstiege liegen Liane (Lippert). Kommt jedoch eine größere Gruppe auf die Zielgerade ist Lisa (Brennauer) unsere Favoritin. Sie hat in diesem Jahr in vielen Rennen gezeigt, dass sie auch nach so einem schweren Rennen noch erfolgreich sprinten kann», so Korff.
Lisa Brennauer hat den Kurs bereits vor Längerem inspiziert. «Es ist ein sehr schwerer Kurs, und ich sehe mich nicht als Favoritin», sagt die Allgäuerin. «Das ist keine Strecke, die mir auf den Leib geschneidert ist, aber die Tür ist für alles offen.» Brennauer hat nach dem Giro d'Italia der Frauen noch eine Trainingseinheit auf der Bahn in Frankfurt/Oder absolviert, bevor sie am vergangenen Samstag nach Tokio geflogen ist. Die 33-Jährige wird bei den Olympischen Spielen gleich dreimal antreten: Im Straßenrennen, im Zeitfahren und in der Mannschaftsverfolgung auf der Bahn. Das können nicht viele, aber Brennauer ist physisch und psychisch stark. Eine Powerfrau, die Herausforderungen annimmt und sich sehr auf die Spiele freut. Trotz aller Widrigkeiten wegen Corona.
Brennauer war bereits in London und Rio dabei. «Ich habe tolle Erinnerungen an die vergangenen Spiele. Es war großartig, dort dabei sein zu dürfen, Teil der deutschen Mannschaft gewesen zu sein», schwärmt die 33-Jährige. «Davon träumt doch jeder Sportler.» In London sei sie aufgeregter gewesen, als in Rio, «weil es meine ersten Spiele waren und ich nicht wusste, was mich erwartet». Die Spiele 2016 waren aber ebenso spannend und unvergesslich. «Ich weiß noch genau, dass ich Gänsehaut hatte, als ich, begleitet von meiner Familie, die in Rio dabei war, zum Start rollte. Das war nicht aus Nervosität, sondern mich hat das Gefühl überwältigt, es geschafft zu haben, beim Olympischen Straßenrennen starten zu dürfen.»
Die beiden übrigen Startplätze im Straßenrennen der Frauen bekamen Hannah Ludwig und Trixi Worrack. Die Jüngere könnte auch im Zeitfahren eingesetzt werden, wenn Lisa Brennauer oder Lisa Klein, die für den Kampf gegen die Uhr gesetzt sind, ausfallen sollten. Bei Worrack vertraut Korff auf deren Erfahrung. Es sind bereits ihre fünften Olympischen Spiele. «Sie ist der Roadcaptain, wird gerade im ersten, technisch anspruchsvollen Teil eine wichtige Rolle spielen.» Worrack freut sich sehr auf ihren Einsatz in Tokio. «Die Nominierung kam für mich ein wenig überraschend. Umso mehr freue ich mich, Teil der Mannschaft zu sein. Und werde alles geben»., sagt die Erfurterin. Die Spiele von Tokio sollen noch einmal ein Höhepunkt ihrer langen Karriere werden, die Ende des Jahres enden wird.
Und Worrack soll dabei auch die Niederländerinnen im Auge behalten, die wieder als große Favoritinnen ins Rennen gehen. Bei den letzten beiden Spielen stellten sie jeweils die Olympiasiegerin: Marianne Vos siegte 2012 in London, Anna van der Breggen 2016 in Rio. Aber die Niederländerinnen können auch noch mit Annemiek van Vleuten oder Chantal van der Broek-Blaak punkten. Bei den neun vorangegangenen Olympischen Spielen kam die Siegerin viermal aus den Niederlanden.
Ziel beider Straßenrennen ist am Fuji International Speedway, dem hochmodernen Motodrom der japanischen Hauptstadt. Dort werden auch die Zeitfahren ausgetragen. Die Frauen fahren einmal die 22,1 Kilometer lange Runde, die Männer zweimal. Breite, gut asphaltierte Straßen lassen es rollen, aber pro Runde sind auch 423 Höhenmeter zu absolvieren, ein Rollerkurs ist dieses Zeitfahren also nicht. Aber eine Strecke, die auch Maximilian Schachmann liegen könnte.