Berlin (dpa) - Lance Armstrong gibt auch mit 40 noch keine Ruhe. Am 13. Oktober hat sich der siebenfache Tour-de-France-Triumphator, der mit 13 als Triathlet mit dem Leistungssport begann, den Ironman auf Hawaii vorgenommen.
Ist der Branchenwechsel des Hyperaktiven zwei Jahre nach seiner letzten Tour mehr Fluch oder Segen für den Triathlon? «Man muss Risiken eingehen», sagte Erik Vervloet, Medienchef der World-Triathlon-Corporation (WTC), im US-Magazin «Forbes».
Die Experten unter dem WTC-Dach sind sich uneins. Zumindest freuen sie sich auf gesteigertes Medieninteresse. «Lance bringt Millionen Augenpaare, die niemals Triathlon verfolgten», sagte Vervloet. Ansonsten herrscht Zurückhaltung. Im Umgang mit dem Phänomen Armstrong, der trotz aller Doping-Vorwürfe stets unbelangt blieb, herrscht Vorsicht: Bloß nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.
Ex-Radprofi Rolf Aldag, Deutschland-Chef der WTC, hat mehrere Blickwinkel. «Die Szene sieht sein Engagement kontrovers. Es gibt die sportliche Ebene, da werden manche Etablierte nicht so gerne sehen, dass ein Externer kommt und womöglich alle wegputzt. Das ist auch eine Frage der Ehre. Auf jeden Fall wird sein Auftritt mehr Aufmerksamkeit bringen», sagte der 43-Jährige, der 2006 praktische Ironman-Erfahrung sammelte. Der Hawaii-Sieger von 2005, Faris Al-Sultan, empfindet das neue Engagement des Texaners eher als «Rucksack mit 20 Jahren Radsport und allem, was dazu gehört».
Die Kooperation mit Armstrong - seine Krebs-Foundation «Livestrong» kassiert für sechs Starts des Meisters eine Million Dollar - veröffentlichte der Triathlon-Verband fünf Stunden, nachdem der Internationale Sportgerichtshof CAS seinen früheren Tour-Rivalen Jan Ullrich wegen Dopings im Nachhinein gesperrt hatte. Die US-Behörden hatten ihre umfangreichen Doping-Recherchen gegen Armstrong kurz zuvor - für viele überraschend - eingestellt.
Andreas Raelert, 2010 Zweiter und 2011 Dritter auf Hawaii und im Oktober wahrscheinlich einer der 48 Profi-Konkurrenten Armstrongs, äußert sich wie viele zurückhaltend. «Die beste Möglichkeit, sich dieser Situation zu stellen, ist, das Rennen mit diesem gesteigerten öffentlichen Interesse zu gewinnen», sagte Raelert der Deutschen Presse-Agentur dpa. Er glaubt an keine besondere Behandlung Armstrongs bei den Doping-Tests: «Das würde unsere Glaubwürdigkeit im Triathlon und die des Anti-Doping-Programms massiv gefährden.»
Die Vorkommnisse bei Armstrongs erstem Auftritt über die halb so lange Ironman-Distanz (70.3) im Februar in Panama, bei dem er Zweiter wurde, weckte zumindest Argwohn. «Wenn man hört, dass nicht wie üblich die drei Podiumsplatzierten zur Dopingkontrolle gebeten wurden, sondern die Plätze vier bis sechs, macht das einen schon etwas nachdenklich», meinte Timo Bracht, mehrfacher Ironmansieger über die Langdistanz, im Fachmagazin «Triathlon». Bracht fiel auf, «dass auf jedem zweiten Foto aus Panama Armstrong gemeinsam mit dem WTC-Chefkampfrichter Jimmy Riccitello zu sehen» war.
Der Name Armstrong hat besonderen Klang und zeigt Wirkung. «Ich will nicht ausschließen, dass es auch Ärzte gibt, die bei Armstrong-Tests Angst vor dem großen Namen oder vor den möglichen Konsequenzen haben. Vielleicht war es fehlende Courage, genau weiß es niemand», sagte Aldag dpa zu den Vorfällen in Panama. Für diejenigen, die sich über die vermeintlich laxe Kontrollpraxis aufregten, hatte Armstrong via Twitter prompt Trost parat: «Ihr könnt kommen und mich wann und wo auch immer testen.»
Aldag, der 2007 Doping gestand, räumt ein, «dass Vorbehalte gegen Ausdauersportler nicht unbegründet sind». Nur «konsequentes Testen schafft Vertrauen». Armstrong und Triathlon sei wegen dessen Alters aber auch «nur noch ein zwei Jahre ein Thema».
Allgemein wird Armstrong auf Hawaii ein Top-Ten-Rang zugetraut. «Für einen Platz auf dem Podium oder einen Sieg wird es nicht reichen», sagte Raelert. Aldag rechnet hoch: «Für einen Sieg bräuchte Armstrong nach dem Radfahren zehn Minuten Vorsprung. Dann besteht aber die Gefahr, dass er im Laufen, seiner ohnehin schwächsten Disziplin, platt ist.»