Peyragude (dpa) - Er war frustriert, ausgepumpt und desillusioniert: Im Ziel der ersten Pyrenäen-Etappe in Bagnères-de-Luchon musste Cadel Evans endgültig akzeptieren, dass sein Tour-Sieg von 2011 nicht zu wiederholen ist.
Auf das Führungsterzett um den Träger des Gelben Trikots, Bradley Wiggins, hatte der Australier fast fünf Minuten verloren. Den völlig missratenen Tag rundete ein weiteres Ärgernis ab: Nach der Zieldurchfahrt stand er vor einem verschlossenem Teambus. Umringt von vier Bodyguards klopfte er lange vergebens an die Fahrertür und die Fenster.
Von Magenproblemen geplagt zerplatzte in der Pyrenäen-Hitze Evans' Tour-Traum. «Es kann sein, dass ich in Paris nur Vierter werde, aber ich werde um einen Platz auf dem Podium kämpfen», sagte der Australier mit der Falsettstimme vor der 17. Etappe und wollte noch ein wenig Kampfeswillen demonstrieren.
Aber er droht auch dieses bescheidende Ziel aus den Augen zu verlieren, vor allem nach dem erneuten Einbruch auf der finalen Hochgebirgsetappe. Beim letzten schweren Anstieg dieser Tour wurde der BMC-Kapitän wieder distanziert, im Nebel des Peyresourde verlor er die Spitzengruppe aus den Augen und im Ziel fast zwei Minuten auf Wiggins. In der Gesamtwertung liegt er als Sechster nun mehr als sieben Minuten hinter Vincenzo Nibali auf Rang drei.
Bis zum Gewinn des WM-Titels 2009, als die erste Attacke seiner Karriere Erfolg brachte, galt Evans als ewiger Pechvogel und großer Zauderer. Das Team Telekom hatte den als notorischen Bruchpiloten empfundenen Ex-Mountainbiker nicht mit zur Tour genommen. Mit dem ersten Gelben Trikot eines Australiers versetzte er im vergangenen Jahr seine Heimat allerdings in einen fast vergleichbaren Taumel, wie ihn Deutschland 1997 nach dem Tour-Sieg Jan Ullrichs erlebt hatte. Wiggins ist auf dem selben Weg. Immer mehr Fans stehen an der Tour-Strecke - die Insel macht sich bereit für den ersten britischen Gesamtsieger in 109 Jahren Tour de France.
Dass Evans' Unternehmen Titelverteidigung scheitern würde, war schon früh zu erahnen. Abgesehen davon, dass Evans dem coolen Tour-Dominator Wiggins in den Bergen nicht gewachsen ist, konnte er dem spindeldürren Sky-Kapitän auch in den ersten beiden Zeitfahren nicht das Wasser reichen. Beim Prolog in Lüttich verlor Evans zehn Sekunden, beim ersten großen Kampf gegen die Uhr in Besancon 1:43 Minuten. «Es ist aus», konstatierte sein BMC-Teamchef John Lelangue nun nach der ersten Pyrenäen-Etappe am Mittwoch.
Evans' herzliches Dankeschön bei seinem Teamkollegen George Hincapie, der den Rückstand seines Chefs in Bagnères-de-Luchon noch einigermaßen im Rahmen hielt, hatte bereits etwas von einem tristen Abschied. Schon vor einigen Jahren hatte das Tour-Zentralorgan «L'Equipe» den introvertierten Australier treffend als «Clown mit dem traurigen Gesicht» beschrieben.