London (dpa) - Lange Gesichter bei den britischen und deutschen Radprofis - Freudentränen bei Bad Boy Alexander Winokurow: Der umstrittene Kasache triumphierte beim olympischen Straßenrennen über 250 Kilometer vor einem Millionenpublikum.
Die hoch gehandelten Favoriten gingen am Samstag in London leer aus. Der Kolumbianer Rigoberto Uran holte Silber, der Norweger Alexander Kristoff Bronze. Winokurow schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf, aber der Erfolg eines Unbelehrbaren war am ersten Tag der Sommerspiele ein fatales Signal im Anti-Doping-Kampf.
«Das Kapitel liegt hinter mir. Es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, nach Doping zu fragen», sagte Winokurow nach dem Rennen völlig unterkühlt. Bei den Sydney-Spielen 2000 hatte er hinter Jan Ullrich bereits Silber gewonnen. Diesen Erfolg toppte er jetzt sogar und wollte sich dann auch die Freude darüber nicht nehmen lassen. «Es ist ein unglaublicher Triumph am Ende meiner Karriere. Nach der Tour de France war ich sehr müde, aber zu Olympia musste ich einfach gehen», sagte «Wino». Am Mittwoch will er im Zeitfahren den letzten Wettkampf seiner Laufbahn bestreiten.
Abgesehen vom Ausgang schwärmte Andre Greipel von seinem ersten Olympia-Auftritt. «Es war das Wahnsinnigste, was ich je in meinem Leben erlebt habe», sagte Greipel zu der berauschenden Atmosphäre mit Start und Ziel vor dem Buckingham Palace. «Es gab keine Stelle zum Pinkeln.» Dennoch war der gebürtige Rostocker wie Topfavorit Mark Cavendish sauer über die sportliche Ausbeute. Der gebürtige Rostocker, der sich zu sehr auf die Arbeit der Engländer verlassen hatte, wurde als Schnellster des Hauptfeldes 27. und landete zwei Plätze vor Cavendish.
Die Gastgeber und die deutschen Radprofis verfuhren sich regelrecht. «Die Taktik hat man wohl gesehen. Wir haben uns darauf eingelassen, mit den Briten zu kooperieren. Das ist nicht aufgegangen», sagte Greipel, der das Tempo des hoch gehandelten britischen Favoriten-Teams beim letzten Anstieg auf den Box-Hill als zu langsam kritisierte. Das könnte der Grund dafür gewesen sein, dass die Ausreißergruppe durchkam, in der Fabian Cancellara 18 Kilometer vor dem Ziel schwer stürzte. Der Schweizer versteuerte sich in einer Kurve, wurde nach dem Rennen ins Krankenhaus gefahren und fällt vielleicht für das Zeitfahren am Mittwoch aus.
Die Briten hatten ganz andere Sorgen. Ausgerechnet Winokurow hat den Gastgebern mit dem Tour-Helden Bradley Wiggins und Weltmeister Cavendish die Show gestohlen. Sieben Kilometer vor dem Ziel setzte sich der 38-jährige zusammen mit Uran entscheidend von den Ausreißern ab. Nicht nur den Briten blieb der Jubel im Hals stecken. «Mit Winokurow hat keiner gerechnet», sagte Bundestrainer Jan Schaffrath, zu Telekom-Zeiten Teamkollege des Kasachen, der von 2007 bis 2009 wegen Fremdblut-Dopings gesperrt war.
Den lebensgefährlichen Bluttausch mit seinem Teamkollegen Alexander Kaschetschkin und damit Doping hat Winokurow allerdings nie zugegeben. In der «Akte» des erfahrenen Allrounders steht noch was Brisantes: Im Vorjahr wurde er beschuldigt, seinen Sieg beim belgischen Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich 2010 «gekauft» zu haben.
Trotz des umstrittenen Siegers war das olympische Rennen bis zur Entscheidung ein Radsportfest. Beim Start vor der Haustür der Queen assistierte Prinz Charles, die Euphorie war grenzenlos. Niemals zuvor hat es bei einer olympischen Straßenentscheidung eine ähnliche Kulisse gegeben. Am Ende waren die einheimischen Fans so enttäuscht wie die deutschen Anhänger.
Greipel-Helfer Tony Martin, der zu Beginn des Rennens oft an der Spitze fuhr, gab das Rennen nach 180 Kilometern auf. Vor dem letzten Anstieg auf den gefürchteten Box-Hill stieg der Zeitfahr-Weltmeister aus, um sich für Mittwoch zu schonen. Trotz des Handicaps seiner nach dem Tour-Sturz gebrochenen Hand will er in seiner Spezialdisziplin in den Kampf um Medaillen eingreifen. Seine Chancen sind jetzt wegen der Cancellara-Verletzung gestiegen.
«Ich hatte leichte Schmerzen in der Hand, wahrscheinlich wegen der vielen Schlaglöcher. Es war im Hinblick auf Mittwoch besser, auszusteigen», sagte Martin und ließ die Journalisten wissen: «Ihr könnt schreiben: Er hat seine Arbeit geleistet».