Nancy (dpa) - So etwas hat es nicht einmal zu Jan Ullrichs Zeiten gegeben. Mit vier Siegen in der ersten Woche der 101. Tour de France durch die Sprinter Marcel Kittel und André Greipel ist die heutige deutsche Radsport-Generation auf Rekordkurs.
Nur so recht registriert wird es in der Heimat noch nicht. Klar, Fußball-Deutschland fiebert dem vierten WM-Titel entgegen. Wer trotzdem Etappensiege mit dem Siegel «Made in Germany» sehen will, muss beim Spartensender Eurosport einschalten. Rund 300.000 bis 400.000 sind es täglich. Das ist ordentlich, aber längst nicht vergleichbar mit den einstigen Traumquoten von ARD und ZDF in den Hochzeiten der Telekom-Ära mit den Stars Ullrich und Zabel.
Inzwischen deutet sich aber an, dass der Radsport-Bann der öffentlich-rechtlichen Sender aufgehoben, zumindest aber gelockert wird. Im September sollen die Intendanten darüber entscheiden, die Sportchefs haben sich offenbar mehrheitlich schon für ein Comeback ausgesprochen. Kittel hatte vor den deutschen Meisterschaften bei den Sendern vorgesprochen und positive Signale erhalten.
«Was können wir Fahrer denn noch machen? Wir sind erfolgreich, und unsere Leistungen sind glaubwürdig», sagt Tony Martin, der sich wie Kittel und John Degenkolb in Sachen Doping klar positioniert hat. Auch Rudolf Scharping, Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR), glaubt, dass die «Zeit der Buße und Strafe» vorbei sein muss. Für Scharping und für die Fahrer dürfte es unverständlich sein, dass der Radsport weiter gemieden wird, während andere populäre Sportarten wie die Leichtathletik in den letzten Jahren kaum weniger prominente Dopingfälle produziert hat. Martin und Co. wollen fünf Jahre nach dem TV-Ausstieg nicht länger für die Sünden ihrer Vorgänger herhalten.
Sehenswert sind die deutschen Erfolge allemal. Erst unterstrich Kittel mit drei Etappensiegen seinen Ruf als derzeit weltbester Sprinter, dann ließ Greipel am Donnerstag seinen ersten Erfolg bei der diesjährigen Tour folgen. Zum Vergleich: Die französischen Gastgeber warten immer noch auf ein Erfolgserlebnis. Und ihr letzter Toursieg mit Bernard Hinault liegt 29 Jahre zurück.
Vier deutsche Etappensiege an den ersten sechs Tagen hat es noch nie gegeben. Und auch sonst müssen die Statistiker weit zurückgehen, um vergleichbare Marken zu finden. So war 1974 den belgischen Radstars Eddy Merckx, Patrick Sercu und Ronald de Witte ein ähnliches Kunststück gelungen.
«Eine tolle Woche für den deutschen Sport», sagte Greipel nach seinem Coup in Reims auch mit Blick auf die Fußball-WM in Brasilien. Und ein Ende ist kaum in Sicht. Auf den bis zu sechs programmierten Massenankünften bieten sich Kittel und Co. noch einige Möglichkeiten. Am vorletzten Tag ist außerdem Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin auf seinem Spezialgebiet der Topfavorit. Damit könnte die deutsche Bestmarke von sechs Siegen aus den Jahren 1977 und 2013 fallen.
«Das erste Tour-Wochenende war quotenmäßig auf dem Niveau von 2013. Aber ohne den Störfaktor Fußball-WM wird das ansteigen», sagt Werner Starz, Marketing-Direktor von Eurosport. Der Sender hat seine Berichterstattung ausgebaut und den dreifachen Toursieger Greg LeMond als Experten verpflichtet.
Auch bei Sat.1 ist wieder ein bisschen Radsport im Bild. Auf Initiative des früheren Tagesschau-Sprechers Max Bator, der Rad-Präsident des Landesverbandes Hamburg ist, hat der Sender für 10.000 Euro zehnmal eine Minute Übertragungsrechte gekauft. Ein Anfang, doch die Generation Kittel muss noch viel Überzeugungsarbeit leisten.