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Rudolf Scharping äußert sich bei einer Pressekonferenz zu den Dopingskandalen.
30.07.2006 14:34
Krisengipfel für Null-Toleranz - Lang: «Nase voll»

Bühl/Hamburg (dpa) - Der Radsport probt den Aufstand der Anständigen. Sponsoren, Team-Manager, Profis und Verbandsfunktionäre suchen nach der Affäre um den wahrscheinlich gedopten Tour de France- Sieger Floyd Landis (USA) nach einem Ausweg aus der Misere.

In Hamburg fand ein Krisengipfel unter Regie des BDR-Präsidenten Rudolf Scharping statt, in Bühl machten Radprofis und Teamleiter Vorschläge zum Vorgehen gegen Doping, dagegen beteuerte Landis in Madrid im Beisein seines Anwaltes seine Unschuld. Der im Vorjahr neu gewählte Weltverbands-Präsident Pat McQuaid (Irland) erklärte den Anti-Doping- Kampf zu seinem «persönlichen Kreuzzug». Beim Hamburger ProTour- Rennen gab es 40 unangemeldete Kontrollen, die aber alle negativ ausfielen, hieß es bei einer Pressekonferenz.

Der erhöhte Testosteron-Wert habe genetische Ursachen, behauptete der 30 Jahre alte Phonak-Kapitän. Die ARD berichtete allerdings über ein im Ziel der 17. Tour-Etappe bei der fälligen Urin-Kontrolle für den Etappensieger Landis gemessenes Verhältnis des männlichen Hormons Testosteron zu Epitestosteron von 11:1. Die Norm liegt bei 4:1. «In unseren Gesundheitspässen stehen nicht nur die Blutwerte, sondern auch der Testosteron-Status. Es dürfte nicht schwer sein, herauszufinden, ob Landis die Wahrheit sagt», meinte Aktivensprecher Jens Voigt.

Scharping ist für Null-Toleranz: «Unser Ziel: Strich drunter und alle, die mit Doping zu tun haben raus.» Beim Krisengipfel verständigte sich der Ex-Verteidigungsminister mit Vertretern der deutschen Profiteams, der Renn-Veranstalter und der Sponsoren auf einen Maßnahmenkatalog. Die drei Kernpunkte sind die Verbesserung der Wirksamkeit von Dopingkontrollen, die Verschärfung der Sanktionen gegen Dopingsünder sowie eine Angleichung der Gesetzgebung an internationale Standards. Zudem wird eine strenge Lizenzierung von Beratern, Betreuern und Physiotherapeuten angestrebt, um auch auf das Umfeld der Profis einzuwirken.

An dem knapp dreistündigen Treffen in der Hamburger Handelskammer nahmen am Vorabend der Hamburg Cyclassics 25 Radsport-Vertreter teil. Scharping sprach von einer «sehr breiten und sehr wirksamen Koalition», die auch international Eindruck machen werde. Für Anfang August kündigte er ein weiteres Treffen an. Anschließend sollen andere Sportverbände in Deutschland, der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), die übrigen Radsportverbände in Europa und der Weltverband UCI für eine Koalition gewonnen werden.

Die Tour soll entschärft und auf 15 Tage reduziert werden, um die Anforderungen zu minimieren. Zudem soll eine Art «Betriebsarzt» oberste medizinische Instanz für alle ProTour-Profis sein: Mit diesen Maßnahmen will Patrick Lefévère, Sprecher der Elite-Teams, den Anti- Doping-Kampf unterstützen. «Diese Vorschläge habe ich schon während der Tour gemacht. 17 von 20 Chefs der ProTour-Teams haben zugestimmt, drei ein langes Gesicht gezogen bei dem Vorschlag mit den Ärzten», sagte der Belgier am Rande des Paarzeitfahrens in Bühl.

Das Phonak-Team von Landis hätte laut Lefévère nach den vorangegangenen Doping-Affären in der Schweizer Mannschaft zur Tour nicht zugelassen werden dürfen. «Aber vielleicht lag es daran, dass Phonak-Manager John Lelangue vor zwei Jahren noch im Tour-Direktorium saß», vermutete der Belgier, der «rund 93 bis 95 Prozent der Fahrer» für clean hält. Diese Rechenart - gemessen an etwa 1000 lizenzierten Profis - deckt sich in etwa mit den Zahlen der spanischen Polizei, die 58 Radprofis der Zusammenarbeit mit den juristisch verfolgten Medizinern Eufemiano Fuentes und José Merino Bartres verdächtigt.

Die Schätzung des Team-Managers der Superstars Tom Boonen und Paolo Bettini scheint aber sehr an das Gute im Radsport zu glauben. Denn Doping-Netzwerke wie in Madrid existieren auf der Welt nicht nur nach Meinung des Molekular-Biologen Werner Franke wahrscheinlich auch anderswo, zum Beispiel in den USA und Osteuropa. Der spanische Ex- Profi Jésus Manzano, bei Kelme in den Fängen von Fuentes, nannte im ZDF-Sportstudio andere Zahlen: «Alle 139 Tour-Fahrer, die Paris erreichten, waren gedopt.»

«Ich habe die Nase voll von Fahrern, denen es nur ums große Geld geht und die nach dem Prinzip verfahren: Nach mir die Sintflut», sagte der deutsche Zeitfahr-Meister Sebastian Lang (Erfurt). Sein Team-Kollege, die große, deutsche Hoffnung Markus Fothen, sagte nach dem gemeinsamen Sieg in Bühl: «Ich sehe meine Existenz wegen der Doping-Vorfälle langsam den Bach runterschwimmen. Ich will aber noch acht oder zehn Jahre fahren.» Voigt schlug vor: «Wir sollten nicht mehr antreten, wenn Doping-Verdächtige am Start stehen» und forderte, «Blutwerte aller Profis» zu veröffentlichen.

Doppel-Olympiasieger Robert Bartko, früherer Team-Kollege des von T-Mobile gekündigten Jan Ullrich, hält es für unwahrscheinlich, dass Teamärzte Doping-Praxis in ihren Reihen über einen längeren Zeitraum nicht mitbekommen. «Wie aggressiv Landis im Ziel in Morzine reagierte - das war nicht normal», sagte der Insider, der schon früh eine Ahnung hatte, dass der Amerikaner bei seiner «Wiederauferstehung» in den Alpen mit Hormonen nachgeholfen haben könnte.


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