Berlin (dpa) - Johan Bruyneel ist wütend. Zusammen mit fünf weiteren Personen aus der Radsportszene, darunter der siebenfache Tour-Gewinner Lance Armstrong, sieht sich der belgische Teamchef des Radrennstalls RadioShack-Nissan dem Vorwurf ausgesetzt, massiv mit Dopingmitteln gehandelt zu haben.
«Es kann nicht richtig sein, dass ich oder irgendjemand anderes von Gericht zu Gericht verfolgt wird, nur weil unseren Anklägern die Entscheidungen auf dem Weg nicht gefallen und sie so versuchen, ein Gericht zu finden, dass ihnen das gewünschte Ergebnis gibt», schrieb Bruyneel am Freitag auf seiner Homepage als Reaktion auf die Vorwürfe der Amerikanischen Anti-Doping-Agentur (USADA). «Ich bin unschuldig in allen Anklagepunkten.»
Er habe nie mit Doping zu tun gehabt. Über die neuerlichen Vorwürfe sei er «enttäuscht». Sein Auftritt bei der am 30. Juni in Lüttich startenden Tour de France ist dennoch höchst ungewiss. «Ich hoffe, die Fahrer, die damit nichts zu tun haben, müssen das jetzt nicht ausbaden», sagte RadioShack-Routinier Jens Voigt der Nachrichtenagentur dpa. In Frankreich wird ein Tour-Ausschluss des gesamten Teams diskutiert. Bjarne Riis war nach seinem Doping-Geständnis 2007 bei der Tour unerwünscht, im Jahr darauf war er allerdings schon wieder dabei.
Unabhängig von der aktuellen Lage geht Voigt selbst «erst zu 80 Prozent» davon aus, zum 15. Mal am Tourstart zu stehen, obwohl er zu Jahresbeginn feste Zusagen erhalten hatte. Bruyneel, der sportlich die Absage seines verletzten Kapitäns Andy Schleck verkraften musste, will das Tour-Team erst zum letztmöglichen Zeitpunkt benennen.
Der 47-jährige Ex-Profi aus Belgien hat Armstrong und den noch bis August Doping-gesperrten Alberto Contador zu zusammen neun Toursiegen geführt, ist aber seit Jahren höchst umstritten. Bei Zeugenaussagen im Fall Armstrong, der laut USADA auch den Verlust seiner sieben Toursiege zwischen 1999 und 2005 riskiert, tauchte sein Name immer wieder auf. Die USADA droht Bruyneel mit lebenslanger Sperre, der Weltverband UCI forderte ihn zu einer Stellungnahme auf.
In einer am Freitagabend verbreiteten Mitteilung unternahm Sponsor Leopard dann auch keinerlei Versuch, dem Teamchef seines Rennstalls den Rücken zu stärken. «Die Vorwürfe beziehen sich ausschließlich auf Geschehnisse vor der Zusammenarbeit zwischen Herrn Bruyneel und Leopard S.A.», hieß es. Das Unternehmen sei mit einer Null-Doping-Toleranz im Radsport aktiv geworden. «In diesem Zusammenhang und in Anbetracht der möglichen Entwicklungen in dieser Sache wird Leopard S.A. alle adäquaten Maßnahmen ergreifen, um seine sportliche Integrität und die Interessen des Radsports zu wahren.»
Sollte das RadioShack-Team vom 30. Juni an fahren dürfen, Bruyneel aber zu Hause bleiben müssen, könnte Kim Andersen als Teamchef einspringen. Den meisten Fahrern um den potenziellen neuen Tour-Kapitän Frank Schleck wäre das wohl ohnehin lieber. Dass der Däne der erste Aktive war, der wegen Dopings lebenslang gesperrt wurde, ist längst vergeben.
Nach der im Vorjahr vollzogenen Fusion der Superteams Leopard-Trek und RadioShack war Bruyneel Teammanager des selbst ernannten «Real Madrids des Radsports». Aber trotz großer Namen und rund 15 Millionen Euro pro Saison vom Luxemburger Immobilien-Magnaten Flavio Becca blieben die Erfolge aus. Die Tour sollte alles rausreißen. Jetzt geht es da laut Voigt - wenn das Team überhaupt fahren darf - angesichts der Superfavoriten Bradley Wiggins und Cadel Evans bestenfalls ums Podium und Etappensiege: «Wir haben keinen Killer-Kapitän.»
Die «L'Équipe» berichtete bereits von telefonischen Kontakten der Schleck-Brüder mit anderen Teams für die kommende Saison. Andere Gerüchte besagen, die Schlecks, Zeitfahr-Olympiasieger Fabian Cancellara und Voigt stünden für nächstes Jahr kollektiv zum Absprung bereit. «Davon weiß ich nichts», sagte Voigt.