Paris (dpa) - Mit der fast schon trügerischen Ruhe ist es wohl schnell wieder vorbei. Hatte das leidige Doping-Thema zum großen Jubiläum der 100. Tour de France dreieinhalb Wochen lang endlich einmal keine ganz hohen Wellen geschlagen, droht der Radsport von den Sünden seiner dunklen Vergangenheit nun wieder eingeholt zu werden.
Drei Tage nach dem großen Finale in Paris könnte die Veröffentlichung des Untersuchungsberichts der Anti-Doping-Kommission des französischen Senats für das nächste Beben sorgen. Im Mittelpunkt, aber nicht ausschließlich, steht dabei der Radsport und die Tour de France 1998. Verschiedene Quellen sprechen von 57 Fahrern, die auf der Liste stehen sollen.
Dass das Blutdopingmittel EPO angesichts der noch nicht vorhandenen Testverfahren zu der Zeit flächendeckend im Einsatz war, dürfte kaum mehr für Aufsehen sorgen, wohl aber die involvierten Namen. So dürfte es spannend sein, ob die Ermittler tatsächlich Ross und Reiter nennen. «Was ich bei den Franzosen wirklich bewundere, ist die nach wie vor große Freude an der Volkskirmes Tour de France, obwohl gar kein Franzose mehr vorne mitfährt. Das ist doch ein erstaunliches Verhalten und spricht für eine faire Sportnation. Insofern könnte es sich der französische Senat doch leisten, die volle Wahrheit ans Licht zu bringen, unter dem Motto 'Unsere Tour nimmt und verdirbt uns niemand' und deswegen sind wir offen», sagte der Nürnberger Pharmakologe Fritz Sörgel der Nachrichtenagentur dpa.
Die Aufregung in der Branche ist jedenfalls groß. Die Vereinigung der Radprofis CPA sprach sich bereits gegen die Veröffentlichung der Namen aus, und die Eltern des 2004 gestorbenen Marco Pantani protestierten vorsorglich beim Radsport-Weltverband UCI. Der kleine italienische Kletterkönig, später als Dopingsünder überführt, hatte die Skandal-Tour 1998 vor Jan Ullrich gewonnen. Bei einem Rennen, das vor 15 Jahren am Abgrund stand. Der Festina-Skandal, bei dem Teambetreuer Willy Voet mit rund 400 Ampullen EPO und anderen Dopingpräparaten aufgeflogen war, hatte Polizeiverhöre und Razzien ausgelöst. Viele Teams traten die Flucht an. Nur 14 von 21 Mannschaften erreichten noch Paris.
Tests auf EPO hatte es zu dieser Zeit noch nicht gegeben. So waren die Kontrollen von 1998 erst 2004 in Nachtests analysiert worden - mit dem wohl zu erwartenden Ergebnis. Seit dem 14. März dieses Jahres hatte die Anti-Doping-Kommission unter dem Vorsitzenden Jean-Francois Humbert insgesamt 84 Personen befragt. Dazu zählte auch der frühere französische Rad-Weltmeister Laurent Jalabert. Kurz vor dem Tour-Start hatte die französische Sporttageszeitung «L'Équipe» berichtet, dass in Jalaberts Dopingprobe vom 22. Juli 1998 EPO nachgewiesen worden war. Der in Frankreich äußerst beliebte «Jaja» merkte an, dass er womöglich unbewusst von den Teamärzten gedopt worden sei und verzichtete zugleich auf seine Experten-Tätigkeit bei der Tour.
Es wurden aber nicht nur Radprofis befragt, auch der heutige französische Fußball-Nationaltrainer Didier Deschamps wurde vor dem Gremium vorstellig. Der Kapitän der französischen Weltmeister-Mannschaft 1998 war von 1994 bis 1999 auch Spieler des italienischen Rekordmeisters Juventus Turin. In dieser Zeit war bei Juve systematisch das Blutdopingmittel EPO zum Einsatz gekommen.
Sportrechtliche Konsequenzen dürfte der Bericht, der ursprünglich am 18. Juli veröffentlicht werden sollte, mit Blick auf die Königsetappe der Tour an diesem Tag aber wieder verschoben worden war, kaum haben. Zumal auch Analysen der B-Probe nicht mehr herangezogen werden können. So schloss UCI-Präsident Pat McQuaid eine erneute Umschreibung der Tour-Siegerlisten aus.
Einer der größten Betrüger der Sportgeschichte kann dagegen zumindest in dieser Hinsicht der Veröffentlichung beruhigt entgegenblicken. Der siebenmalige Toursieger Lance Armstrong war 1998 noch nicht am Start, seine unrühmliche Regentschaft auf Frankreichs Landstraßen begann erst ein Jahr später.