Nizza (dpa) - Ob Schützenfeste, Rockkonzerte oder wohl auch bald der Karneval - gegen das Coronavirus ist kein Volksfest immun. Die Pandemie hat nahezu alle Massenveranstaltungen weltweit zum Erliegen gebracht. Alle? Nicht ganz.
Vom 29. August an soll in Frankreich tatsächlich die 107. Tour de France in Nizza losrollen. Zwar mit zweimonatiger Verspätung und mit vielen Einschränkungen, aber trotzdem mit Zuschauern. Die Tour ist schließlich ein französisches Nationalheiligtum und gehört in der Grande Nation zum Sommer wie der Wein zum Essen.
«Diese Tour wird ein Symbol der Wiedergeburt und des wirtschaftlichen Aufschwungs sein», verspricht Tourchef Christian Prudhomme mit staatstragenden Worten. Diese Auflage werde in der langen Geschichte der Tour eine herausragende Rolle spielen und einen beispiellosen Wiedererkennungswert haben. Und damit angesichts wieder ansteigender Infektionszahlen - zuletzt gab es in Frankreich täglich mehr als 4000 positiv getestete Personen - nichts mehr dazwischen kommt, wählt Prudhomme eindringliche Worte an die Radsport-Fans an der Strecke. «Tragt Masken! Für die Zuschauer muss klar sein: Ich liebe das Rad, ich liebe die Tour, und der gesunde Menschenverstand sagt mir, dass ich eine Maske tragen muss.»
Zehn bis zwölf Millionen Fans zieht die Rundfahrt während der drei Wochen jedes Jahr in ihren Bann. Diesmal wird alles kleiner sein. Wo im vorigen Jahr bei der Teampräsentation in Brüssel 75.000 Fans die Fahrer und vor allem Rad-Legende Eddy Merckx feierten, werden in diesem Jahr nur noch maximal 1750 Gäste zugelassen. Alle mit Maske, denn das ist seit letzter Woche in der Hauptstadt der Côté d'Azur auch im Freien Pflicht - ähnlich wie in anderen Städten. Aber die Fans ganz auszusperren, kommt nicht in Frage. «Eine Tour hinter verschlossenen Türen macht keinen Sinn», sagt Prudhomme.
Entsprechend wird es auf den 21 Etappen bis Paris ablaufen. Im Start- und Zielbereich sind maximal 5000 Zuschauer vorgesehen, der Zugang zu den Bergen soll stark eingeschränkt werden, und auch sonst wird der gewaltige Tross (Fahrer, Offizielle, Journalisten, Sponsoren) von 5000 auf 3000 Personen verkleinert. Die Werbekarawane, die täglich als Vorauskommando zig Millionen Artikel unter das Volk bringt, soll nur noch halb so lang sein. Und trotzdem: The Show must go on.
Damit alles funktioniert, sieht das Konzept strikte Regeln vor. Die Fahrer werden dreieinhalb Wochen in ihrer eigenen Blase unterwegs sein. Eine zweite Blase umfasst die Entourage, und der dritte Bereich stellt die Öffentlichkeit dar. Diese sogenannten Bubbles sollen nicht miteinander in Kontakt treten. So sieht es der Plan vor.
Und natürlich wird auf Corona getestet. Zweimal vor der Tour sowie an den beiden Ruhetagen werden sich die Fahrer einem Covid-19-Test unterziehen. Wo einst - und auch immer noch - die Dopingfahnder an den Ruhetagen oft für unliebsame Überraschungen sorgten, könnten nun die Corona-Tests für plötzliche Ausschlüsse im Peloton sorgen. Zwei positive Tests innerhalb eines Teams - neben den acht Fahrern gehört auch der rund 20-köpfige Betreuerstab dazu - sollen zum Ausschluss der ganzen Mannschaft führen. Salopp gesagt: Sind der Busfahrer und der Masseur positiv, ist der Tour-Traum beendet.
«Es wird eine komplizierte Zeit für die Teams und die Behörden sein», sagt Sportministerin Roxana Maracineanu, die im täglichen Austausch mit Tour-Veranstalter ASO steht. «Wir müssen uns anpassen, aber trotzdem muss der Sport weiterleben, um zu existieren.»
Auch die Siegerehrungen finden unter Corona-Bedingungen statt. «Küsschen links, Küsschen rechts» ist nicht mehr. Formlos bekommen die Fahrer ihre Trikots überreicht - natürlich unter Maskenpflicht, was Teamchef Ralph Denk von Bora-hansgrohe für unsinnig hält: «Im Rennen fahren die Fahrer noch nebeneinander. Da steckt viel Politik dahinter.» Auch die vielen wichtigen und weniger wichtigen Leute werden nicht mehr Zugang zum Podium haben.
Dazu gibt es eine grundlegende Änderung, ungeachtet von Corona: Die Trikotträger werden statt von zwei Hostessen nun von einem Mann und einer Frau eingerahmt.