Schleswig (rad-net) - Das Thema Helmpflicht wird unter Deutschlands Fahrradfahrern kontrovers diskutiert, nachdem das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht ein umstrittenes Urteil gefällt hat. Kritiker wie der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) befürchten, ein Zwang könnte viele Menschen vom Radfahren abhalten.
Auslöser der Debatte ist ein Urteil des OLG Schleswig-Holstein, das vergangene Woche einer Radfahrerin die Mitschuld an einem Unfall gab, weil sie keinen Helm getragen hatte. Die Frau war auf dem Weg zur Arbeit durch eine unvermittelt aufgemachte Fahrertür eines parkenden Autos zu Sturz gebracht worden und hatte dabei schwere Kopfverletzungen erlitten.
Nach Meinung der Richter trägt sie eine Mitschuld, weil ein Helm die Verletzungen verhindert oder auch abgemindert hätte. Dies gilt auch bei verkehrswidrigem Verhalten des Unfallgegners, entschied der 7. Zivilsenat des schleswig-holsteinischen OLG (Az. 7 U 11/12). Laut Urteil muss die Frau 20 Prozent ihres aus dem Unfall entstandenen Schadens selbst bezahlen.
Unterdessen verwehrte sich der ADFC-Bundesvorsitzender Ulrich Syberg der richterlichen Annahme, es sei davon auszugehen, «dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung des eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen wird». Dann seien 90 Prozent der Radfahrer keine verständigen Menschen, sagte Syberg der «Rheinischen Post».
Der ADFC ist ebenso gegen eine Helmpflicht wie der Allgemeine Deutsche Automobil Club (ADAC). Beide Institutionen befürchten, dass weniger Leute das Fahrrad nutzen würden, wenn sie dazu gezwungen wären, einen Helm aufzusetzen.
Fast jeder zweite Deutsche fährt mehrmals in der Woche mit dem Rad, aber nur jeder Zehnte radelt mit Helm. Der ADFC nannte das Urteil «überraschend». Wo viele Radfahrer unterwegs sind, etwa in den Niederlanden oder in Dänemark, gebe es deutlich weniger Unfälle - einfach, weil Autofahrer viel stärker an Radfahrer gewöhnt seien. Der Fahrradclub wolle die Radfahrerin unterstützen, gegen die Entscheidung mit einer Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) vorzugehen, kündigte der Vorsitzende an.
Einige Versicherer wie die HUK-Coburg wollen das Urteil zum Anlass nehmen, künftig in vergleichbaren Fällen noch genauer hinzugucken und sich bei der Schadensregulierung möglicherweise daran zu orientieren. In ihrer Urteilsbegründung unterschieden die Richter nicht zwischen Sport- und «normalem» Fahrradfahrer. «Schon angesichts des Umstandes, dass die technische Entwicklung (…) heute derart fortgeschritten ist, dass man auch wenn es sich nicht um spezielle renn- oder Geländeräder handelt, hohe Geschwindigkeiten erreichen (…) kann, überzeugt diese Unterscheidung nicht», heißt es dort.
Die deutsche Bevölkerung ist in der Frage der Helmpflicht gespalten. In einer Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag des «Stern» unter 1007 Bundesbürgern sprachen sich 49 Prozent für eine Helmpflicht für Fahrradfahrer aus. Frauen (56 Prozent) befürworten den zusätzlichen Schutz eher als Männer (42 Prozent). Ebenfalls 49 Prozent der Bürger lehnen eine Helmpflicht ab.