Paris (dpa) - Die 95. Tour de France war ein gutes Stück entfernt vom propagierten «Neuanfang» nach den Skandal-Jahren 2006 und 2007.
Aktuellster Beleg dafür war der unmittelbar nach Tourende bekanntgewordene vierte Dopingfall des Kasachen Dimitri Fofonow, der des Dopings mit dem Stimulantium Heptaminol überführt wurde. Damit wurde die Doping-Marke des Vorjahres, als es drei Fälle gab, bisher um einen Positiv-Befund übertroffen. Trotzdem waren in der Gesamtbetrachtung «erste Schritte in die richtige Richtung» wie Gerolsteiner-Teamchef Hans-Michael Holczer meinte, zu registrieren.
Im Anti-Doping-Kampf, der die Tour zehn Jahre nach der Festina-Affäre traditionell auch diesmal in Atem hielt, bleibt noch ein weiter Weg zurückzulegen - der Fall Fofonow ist der beste Beweis dafür. Auch wenn Verbandspräsident Rudolf Scharping «massive Fortschritte» im Kampf gegen Manipulationen ausmachte: «Das war keine Doping-Tour.» Nach Fofonow, dem nach Angaben der französischen Anti-Doping-Agentur AFLD «eine sehr hohe Dosis» des die Durchblutung fördernden Mittels nachgewiesen wurde, kann es noch schlimmer kommen: Bis zum Tourende waren rund 420 Doping-Kontrollen vorgenommen worden, deren Ergebnisse noch nicht komplett vorliegen. Der 31-jährige Kasache, 19. der Gesamtwertung, wurde noch am Sonntag von seinem Team suspendiert.
Aber Holczer, der weiter nach einem Nachfolge-Sponsor sucht und sich nur noch eine gute Woche Zeit gibt, sieht Mut machende Zeichen im Anti-Doping-Kampf. «Die Wahrscheinlichkeit, dass keiner der ersten Zehn der Tour manipuliert hat, ist realistischer denn je. Wir sind auf gutem Weg zu erfahren, wer wirklich die Besten sind», sagte der 54 Jahre alte Schwabe. «Vernünftige Ansätze» sah sein Fahrer Sebastian Lang im Rückblick: «Der Tour-Veranstalter ASO macht es richtig, die Schwarzen Schafe endlich kompromisslos rauszuwerfen».
Schon nach der 1. Etappe in Plumelec war der Spanier Manuel Beltran, ein ehemaliger Team-Kollege von Lance Armstrong und Jan Ullrich, positiv auf EPO getestet worden. Es folgten beim Zeitfahren in Cholet sein Landsmann Moises Dueñas Nevado und der zweifache italienische Etappengewinner und vorher als Mitfavorit gehandelte Riccardo Ricco. Danach erwischte es Fofonow, der nach der 18. Etappe positiv in St. Etienne getestet wurde. Als Reaktion auf die ersten drei Fälle kündigten die betroffenen Rennställe Barloworld und Saunier Duval ihren Rückzug aus dem Radsport an. Fofonows Crédit Agricole-Team hatte bereits vorher den Rückzug zum Jahresende angekündigt.
Zudem sorgten ein ARD-Bericht über ein ominöses Labor in Südspanien und ein Polizei-Einsatz gegen Johnny Schleck, den Vater der bei Bjarne Riis beschäftigten Schleck-Brüder, für Aufregung. Aber das blieb ohne Konsequenzen: Der Zoll fand keine Doping-Präparate in Schlecks Wagen und das Angebot des Labors in Cáceres kann auch als normales Angebot für interne Team-Kontrollen und nicht als Vermeidungs-Tests für positive Befunde verstanden werden. Das überaus erfolgreiche CSC-Saxo-Team des neuen Toursiegers Carlos Sastre hatten die Doping-Fahnder besonders im Fokus - bisher ohne Erfolg.
Dem deutschen Innenminister Wolfgang Schäuble reicht es bereits. «Ich würde überprüfen, ob ich die Tour noch stundenlang im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertrage. Mich interessiert sie schon lange nicht mehr», erklärte Schäuble in Berlin. Der Kölner Doping-Experte Wilhelm Schänzer geht davon aus, «dass Radfahrer alles nehmen, von dem sie glauben, dass es nicht nachweisbar ist.» Trotz der neuerlichen Skandalmeldungen blieben die TV-Kanäle dem Juli-Spektakel standhaft treu und verzichteten - anders als im Vorjahr nach dem Fall Sinkewitz - auf einen Ausstieg aus der Live-Berichterstattung.
IOC-Präsident Jacques Rogge zeigte sich «sehr, sehr traurig» angesichts der drei Doping-Fälle. «Ich hatte gehofft, dass die neue Generation den Radsport mit einer neuen Einstellung betreibt. Ich hatte gehofft, dass der Radsport begriffen hat, dass es Zeit ist, etwas zu ändern», sagte der Belgier. Für DOSB-Chef Thomas Bach war es «erschreckend, dass der erforderliche Sinneswandel im Radsport trotz vieler Anstrengungen im Anti-Doping-Kampf offensichtlich immer noch nicht vollzogen wurde.»
Nach dem Fall Ricco wurden selbst im Tour-verrückten Gastgeberland Stimmen immer lauter, den «Zirkus», wie die «Libération» schrieb, zu beenden. Für Christian Prudhomme kam ein Stopp des seit 1903 gefahrenen Klassikers aber nicht infrage. «1904 gab es schon Dopingfälle. Damals wollte der Renndirektor die Tour absagen, aber daran denken wir heute nicht. Doping ist der Feind, nicht eine Sportart und nicht eine Veranstaltung», meinte der Tour-Patron, dem ernsthaftes Durchgreifen zu attestieren ist. In einem Interview mit dem «Kölner Stadt-Anzeiger» sagte Prudhomme: «Die Tour ist nicht tot.»