Valkenburg (dpa) - Am Abend vor dem Rennen wurde im deutschen Mannschaftshotel in mühsamer Handarbeit das Trikot noch enger genäht. Dann hat alles gepasst: Judith Arndt verteidigte im Zeitfahren ihren Weltmeister-Titel mit einem famosen Auftritt.
Mit dem Sieg verschaffte sie sich vor ihrem letzten Karriere-Rennen am Samstag einen goldenen Abgang von der großen Radsport-Bühne. «Ich habe keine Lust mehr auf diesen Zwang, den Druck, sich jeden Tag quälen zu müssen», sagte die 36-jährige Leipzigerin. 21 Jahre, in denen sie auf der Bahn und auf der Straße vier WM-Titel, drei Olympia-Medaillen und 14 deutsche Meisterschaften sammelte, sind genug.
Zusammen mit ihrer Freundin, der Ex-Fahrerin Anna Wilson, die ihr im Ziel als erste um den Hals fiel, will Judith Arndt in Melbourne einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Im kommenden Jahr will sie mit dem Studium der Soziologie und Kulturwissenschaften beginnen. «Der Umzug ist wahrscheinlich im März», erklärte Arndt, die um ihren bevorstehenden sportlichen Ruhestand nicht viel Aufhebens machen will. «Es wird kein Abschiedsrennen geben - nichts. Ich will kein Drama», sagte die schmale Allrounderin.
Am Samstag nach dem Straßenrennen zieht sie einen Schlussstrich unter ihre überaus erfolgreiche Karriere. «Mir geht langsam die Puste aus», flachste sie. «In einer Woche bin ich ein anderer Mensch», sagte die Olympia-Zweite im Zeitfahren, die im siebenköpfigen BDR-Aufgebot für das Straßenrennen die Favoritenrolle von sich weist: «In den Vorjahren waren wir oft die Favoriten - diesmal nicht. Ich glaube, Marianne Vos ist nicht zu schlagen, aber wir geben natürlich alles.» Die Niederländerin hatte in London Olympiagold geholt und träumt vom Sieg vor eigenem Publikum.
Neben ihren sportlichen Höhenflügen bleibt beim Namen Arndt vor allem ihr umstrittener Auftritt bei den Olympischen Spielen 2004 haften. Als sie in Athen im Straßenrennen als Zweite über den Zielstrich gerollt war, hatte sie den deutschen Funktionären aus Verärgerung - auch für Fernsehzuschauer weltweit gut sichtbar - den ausgestreckten Mittelfinger gezeigt. Die Verbands-Offiziellen hatten damals Arndts frühere Lebenspartnerin Petra Roßner nicht nominiert und damit nach Arndts Ansicht eine sichere Medaille verschenkt.
Der Abgang der ansonsten eher zurückhaltenden Frau von der großen Bühne reißt sportlich eine große Lücke, obwohl Arndt diesbezüglich erst einmal höflich abwiegelte: «Trixi Worrack und Charlotte Becker, die mich im Zeitfahren beide schon geschlagen haben, sind ja noch da. Vielleicht macht auch Ina-Yoko Teutenberg noch weiter und von den Jüngeren kommt ja auch was nach.»
Dem Bund Deutscher Radfahrer (BDR) steht auf jeden Fall Aufbauarbeit bevor. «Wir werden das nicht so schnell kompensieren können - uns fehlt in Zukunft die Leitfigur im Frauenradsport», sagte Verbands-Vizepräsident Udo Sprenger zum Arndt-Abschied, der auch Weltranglistenpunkte in der Nationenwertung kosten wird.
«Dadurch werden wir von augenblicklich Nummer zwei hinter Holland abrutschen, was sich auf die Startplätze bei WM und Olympia auswirken wird», meinte Sprenger. Er hat aber auch hoffungsvoll stimmende Signale in Valkenburg ausgemacht: «Der achte Platz von Corinna Lechner im Zeitfahren der Juniorinnen macht Mut.»