Hagen (rad-net) - Seit gut vier Monaten ist Vera Hohlfeld Koordinatorin für Frauenradsport im Bund Deutscher Radfahrer (BDR). «Ich habe das Gefühl, im Frauen-Radsport wird nur das Nötigste gemacht und vieles ist einfach nicht durchdacht», sagt die 41-Jährige, die auch Organisatorin der Internationalen Thüringen-Rundfahrt der Frauen und im zweiten Jahr Teamchefin vom Frauen- und Juniorinnen-Bundesliga-Team «maxx-solar Stevens» ist.
Im Interview mit «rad-net» fordert die Oympia-Vierte von Atlanta 1996 einen Runden Tisch zur Förderung des Frauen-Radsports, spricht sich für die Wiedereinführung einer Tour de France der Frauen aus und verrät, warum der deutsche Frauen-Fußball aus Verbandssicht ein Vorbild ist.
Frau Hohlfeld, Sie sind seit gut vier Monaten als BDR-Koordinatorin für
Frauenradsport im Amt. Was muss sich strukturell ändern, damit der
Frauen-Radsport vorankommt?
Vera Hohlfeld: Es müsste mehr um individuelle Dinge gehen und nicht alles
über einen großen Kamm geschert werden. In der heutigen Zeit wird auch
Frauen-Radsport an Medaillen und Kadermitgliedern festgemacht, so ist es in den
Landesverbänden und im Bund Deutscher Radfahrer. Weil die Frauen in den letzten
Jahren viele Erfolge eingefahren haben, sollte darauf genauso viel Konzentration
gelegt werden wie bei den Männern. Aber das ist nicht der Fall. Der
Frauenradsport sollte nicht nur auf Grund der vergangenen Erfolge innerhalb des
BDR einen höheren Stellenwert einnehmen. Die UCI fängt jetzt an damit, das ist
ein endlich mal ein positives Signal.
Sondern?
Hohlfeld: Ich habe das Gefühl, im Frauen-Radsport wird nur das Nötigste
gemacht und vieles ist einfach nicht durchdacht. Eigentlich müssten sich alle an
einen Tisch setzen. Wir wollen alle mit ins Boot nehmen und uns alle verbessern
und keine Dinge machen, die kontraproduktiv sind.
Sehen Sie das auch als Ihre Aufgabe an, alle an einen Tisch zu holen und
ein neues Bewusstsein zu schaffen?
Hohlfeld: Da muss auch mal ein Signal von den Verbänden kommen, damit ich
spüre: Jetzt ist es gewollt, dass man zumindest mal miteinander spricht und
gehört wird. In dieser Hinsicht ist bisher noch nichts passiert. Dann
konzentriere ich mich besser auf andere Sachen.
Wer gehört alles an so einen runden Tisch?
Hohlfeld: Der BDR, die Landesverbände und diejenigen, die für die Teams
verantwortlich sind und sich im Frauen-Radsport engagieren. Sie müssen sich
fragen: Was können wir tun, um Nachwuchstalente zu finden. Da gehören auch die
Leute dazu, die direkt an der Basis arbeiten und nicht nur die aus den
Verbänden, die den Kaderstatus verteilen und weit weg von der Basis sind. Das
ist gar kein Vorwurf, aber wir müssen eng mit der Basis zusammenarbeiten.
Der langjährige Frauen-Bundestrainer Jochen Dornbusch ist zurück an der
Basis und seit dem 1. August im Badischen Radsportverband als Landestrainer für
die weiblichen Klassen zuständig. Ist das der richtige Weg?
Hohlfeld: Das ist ein gutes Signal und geht in die richtige Richtung. Er wird
auf alle Fälle etwas bewegen. Ich finde es gut, dass der Badische Landesverband
erkannt hat, dass sie im weiblichen Bereich etwas machen müssen. Sie scheinen da
auch ein paar Euro zu investieren, meistens geht die Finanzierung ja mit den
Landesverbänden und Olympiastützpunkten zusammen. Jetzt geht es darum, den
Nachwuchs dort zu begeistern, das ist natürlich ein langfristiger Weg. Das würde
hier in Thüringen bestimmt fünf, sechs Jahre dauern, bis da etwas fruchten
würde.
Als Organisationschefin der Internationalen Thüringen-Rundfahrt der
Frauen: Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Hohlfeld: Ich bin in diesem Jahr sehr zufrieden. Das sehr gute Wetter hat
sicherlich dazu beigetragen, dass wir zusammen mit den Zuschauern und Fans
wieder verwöhnt worden sind. Von Hanka Kupfernagel war es einer starke Leistung,
unter die ersten Zehn zu kommen, obwohl sie nicht gut in die Saison gestartet
war und wenige Rennen hatte. Mit Lisa Brennauer auf dem dritten Platz hat wohl
keiner gerechnet. Trotzdem sieht es aus deutscher Sicht momentan grundsätzlich
eher mau aus. Das war aber schon vor vier, fünf Jahren abzusehen. Da kommen wir
wieder zu dem Punkt: Förderung des Frauen-Radsports in den Verbänden, wo man
sich aufgrund der Erfolge mit Judith Arndt & Co. viele Jahre ausgeruht hat. Wenn
die Erfolge nicht mehr da sind, bricht alles zusammen. Ich glaube sogar, dass
wird noch viel schlimmer in den nächsten Jahren.
Fehlt dem deutschen Frauen-Radsport nach dem Karriereende von Judith Arndt
ein Aushängeschild?
Hohlfeld: Klar. Trixi Worrack ist schon eine Gute, sie war auch meine
Favoritin für die Thüringen-Rundfahrt, aber sie hatte nach ihrem
Schlüsselbeinbruch noch mit der Schulter zu kämpfen. Wenn sie momentan die
einzige ist, die vorne den Sieg einfahren kann und dann krank ist, kommt erstmal
ein Riesenloch.
Sie haben kürzlich gesagt, die Fahrerinnen beschäftigten sich zu viel mit
Nebensächlichkeiten. Wie sehen die aus?
Hohlfeld: Hanka Kupfernagel ist eine Persönlichkeit im Frauen-Radsport. Das
kann man nicht mit 18, 20 oder 22 Jahren sein, weil man da noch nicht so geprägt
ist. Aber wir müssen uns verkaufen, unseren Sport verkaufen und uns vermarkten.
Nur damit begeistern wir die Sponsoren. Die interessiert es nicht, wenn kleine
Mäuschen einfach nur Radfahren und vielleicht auch mal ein Rennen gewinnen, aber
ein Gesicht ziehen, wenn sie ein Interview geben müssen. Wenn man beim Foto
nicht lachen kann, damit verschreckt man die Sponsoren und alle, die sich
vielleicht engagieren wollen. Das muss man auch üben. Ich glaube, eine Magdalena
Neuner hat das am Anfang auch richtig lernen müssen. Das ist nur ein Punkt, wenn
man wirklich Profi werden, damit Geld verdienen und zu Olympia kommen will. Da
sind auch alle Beteiligten rund um den jungen Sportler gefragt.
Wo liegen weitere Probleme?
Hohlfeld: Es ist mit der Zeit nicht einfacher geworden. Das Geld wir immer
knapper, was ich jetzt nicht mit Doping in Verbindung bringe, sondern generell
mit der gesamtwirtschaftlichen Situation. Ich glaube, da geht es vielen anderen
Sportarten genauso. Trotz allem ist das Potenzial da. Aber dieses Potenzial zu
finden, das ist immer auch eine Personalfrage, von alleine kommt niemand, das
ist klar.
Die deutschen Fußballfrauen sind kürzlich Europameisterinnen geworden,
fast neun Millionen Zuschauer haben im Fernsehen das Finale verfolgt. Was können
die Radsportlerinnen von den Fußballerinnen lernen?
Hohlfeld: Wie sich die Fußballerinnen persönlich vermarkten, weiß ich nicht.
Aber das ist schon ein Vorbild für mich, was da im Frauen-Fußball passiert, weil
die Verbände erkannt haben, wir müssen da was machen, was sie in den vergangenen
Jahren auch getan haben. Das könnte auch der Frauen-Radsport erreichen.
Vielleicht nicht neun Millionen, aber zumindest was die allgemeine
Aufmerksamkeit angeht. Das fängt an bei der UCI, die versuchen müsste das Ganze
zu forcieren. Zum Beispiel die Tour de France zum gleichen Zeitpunkt mit den
Frauen zu machen oder bestimmte marketingtechnische Dinge. Das bringt ein ganz
anderes Bild in die nationalen Verbände und beim einzelnen Zuschauer und Fan,
wenn es auch bei den Verbänden auf der gleichen Stufe ist, aber dort ist es ja
schon nicht.
Eine Initiative um Olympiasiegerin Marianne Vos kämpft für eine Tour de
France der Frauen. Würde das einen deutlichen Imagegewinn bringen?
Hohlfeld: Das würde definitiv einen Imagegewinn bringen - weltweit. Ich bin
früher selber die Tour de France der Frauen gefahren und halte das für eine
super Idee. Aber wenn man sagt, wir wollen das für 2014, dann ist das
unrealistisch. Zum Zeitpunkt der Tour der Männer sind der Giro Feminine und die
Thüringen-Rundfahrt. Unsere Termine stehen ja schon fest fürs nächste Jahr,
ebenso die Verträge mit den Etappenorten. Damit würde der Internationale Verband
zwei andere Rundfahrten kaputt machen. Das ginge frühestens 2015, dann müssten
die Verantwortlichen wegen der Terminvergabe bis Ende dieses Jahres zu Potte
kommen.