Berlin (dpa) - Die Vergangenheit lässt Jan Ullrich nicht zur Ruhe kommen. Der 36-jährige Tour-de-France-Sieger von 1997, der am Donnerstag seine Burnout-Erkrankung über Internet publik gemacht hatte, muss mit einem Strafverfahren wegen Prozessbetruges rechnen.
Die Staatsanwaltschaft Hamburg prüft die Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens wegen Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung und versuchten Betruges. Das erklärte deren Sprecher Bernd Mauruschat und bestätigte zudem den Eingang einer «vorsorglichen Beschwerde» durch Werner Frankes Anwalt Michael Lehner gegen das im Juli eingestellte Verfahren.
«Wenn der Beschwerde stattgegeben wird - ich arbeite gerade an deren Begründung - wird es ein Strafverfahren wegen versuchten Prozessbetruges geben», sagte Lehner der Nachrichtenagentur dpa. Der Anwalt kündigte am Sonntag an: «Dabei wird es auch um den Franke entstandenen Vermögensschaden gehen.» Nach der Abweisung der Ullrich- Klage gegen Franke durch das Oberlandesgericht Hamburg darf der Molekularbiologe und Anti-Doping-Aktivist weiter behaupten, der Ex- Radprofi habe dem mutmaßlichen Dopingarzt Eufemiano Fuentes mindestens 35 000 Euro gezahlt.
Die Staatsanwaltschaft Bonn hatte Ullrich vor zwei Jahren nachgewiesen, dass 4,5 Liter seines Blutes bei Fuentes lagerten und Geld von Ullrich-Konten zu Fuentes floss. Ullrich-Intimus Rudy Pevenage gab während der Tour de France im Juli zu, für den Radprofi mehrfach als ganz besonderer Reiseleiter tätig gewesen zu sein.
Das Puzzle des mutmaßlichen Ullrich-Dopings wird immer vollständiger. Der gebürtige Rostocker konnte sich aber immer noch nicht durchringen, endlich reinen Tisch zu machen, wie ihm viele - nicht nur Lehner - geraten haben. Bisher zog sich der Olympiasieger von Sydney immer auf den juristisch sicher nicht anzufechtenden Satz zurück: «Ich habe nie jemanden betrogen.» Doping hat er stets bestritten.
«Ich verteidige ja auch oft Radprofis. Ich verstehe sie, ich weiß, in welchem Feld sie sich bewegen. Für Ullrich hätte die längst verdiente Ruhe einkehren können, wenn er nicht weitergemacht hätte, nachdem die Staatsanwaltschaft Bonn 2008 die Ermittlungen gegen ihn nach der Zahlung einer Summe eingestellt hatte», meinte Lehner.
Mit der erfolgten Klageabweisung in Hamburg muss Ullrich laut Lehner bereits rund 50 000 Euro Prozesskosten an Franke zahlen. Aber das Urteil, das die Ullrich-Seite durch Anwalt Marcus Hotze als «im Kern falsch» bezeichnete, ist noch nicht rechtskräftig. Allerdings rechnet Lehner nicht damit, dass Ullrich Einspruch einlegt: «Da wäre er ja mit dem Klammerbeutel gepudert. Schon seine Klage gegen Franke war ein Riesenfehler.» Damit habe der wegen seiner Doping- Verstrickungen längst vom Sockel des einst umschwärmten Sportstars gestürzte Ullrich laut Lehner seine Behauptung aufrechterhalten, nicht an Fuentes gezahlt zu haben.
In einer Mitteilung an die «lieben Fans» hatte Ullrich auf seiner Homepage über sein Burnout-Syndrom informiert, das eine längere Behandlung erfordere. «Um eine baldige Genesung zu ermöglichen, werde ich mich deswegen in den nächsten Monaten vollständig aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Aus verständlichen Gründen möchte ich mich nicht weiter dazu äußern», ließ der zurückgezogen mit seiner Familie in Scherzingen auf der Schweizer Seite des Bodensees lebende Ullrich wissen. Am 9. April war er beim Wohltätigkeitstermin «Race4Kids» in Österreich zum letzten Mal öffentlich aufgetreten.