Paris (dpa) - Die Wellen schlagen hoch - Klagen drohen: Die Veröffentlichung der UCI-Geheimpapiere über dopingverdächtige Radprofis erregt die Gemüter aller Beteiligten. Einer der Hauptbetroffenen bleibt allerdings ganz ruhig.
«Mein Leben ändert sich nicht», sagte Radprofi Jaroslaw Popowitsch. Der geständige frühere EPO-Benutzer David Millar aus Schottland schimpfte über einen «Skandal», Danilo Hondo sprach von «Rufschädigung».
Die belgische Agentur «Celio Sport & Image», zu deren zwölf Klienten der deutsche Sprinter Gerald Ciolek und der hochverdächtigte Spanier Carlo Barredo gehören, drohte dem Rad-Weltverband UCI mit einer Verleumdungsklage. Die Welt-Doping-Agentur WADA leitete Ermittlungen ein, um das Leck zu finden, aus dem die Informationen an die Öffentlichkeit gelangten.
Popowitsch wirkte ganz entspannt. Der Ukrainer, neben Barredo mit zehn Punkten «Spitzenreiter» unter den Verdächtigen, reagierte auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa am Startort der 9. Etappe des Giro d'Italia in Messina eher gelassen. «Mein Leben ändert sich nicht. Ich stand schon so oft im Mittelpunkt von Dopingermittlungen. Erst kürzlich durchsuchten Polizisten mein Haus», sagte Popowitsch.
Die UCI, die wieder einmal Fragen zur Effektivität ihres Anti-Doping-Kampfes beantworten muss, drohte ihrerseits mit Klage. Der Verband erklärte nach Bekanntwerden des internen Papiers etwas kleinlaut, zusammen mit der WADA rechtliche Schritte zu prüfen, um die undichte Stelle zu finden, aus der das Verdachts-Ranking aller 198 Tour-de-France-Starter von 2010 in die Öffentlichkeit kam. «Die UCI hat mir nicht erklärt, wie meine angeblich zu hohen Werte zustande kamen. Ich weiß nicht, wie ich auf zehn Punkte kam», erklärte Popowitsch vom Team RadioShack.
Das US-Team des Tour-Rekordsiegers Lance Armstrong, gegen den in den USA in anderem Zusammenhang ermittelt wird, führt die «Teamwertung» in der Liste an, in der eine Abstufung von null (sauber) bis zehn Punkten (sehr stark dopingverdächtig) vorgenommen wird. «Ich kann mit der Liste nichts anfangen, weil ich nicht weiß, wie sie zustande kam. Wenn Popowitsch so sehr verdächtig ist, frage ich mich, wieso er seit Tour-Ende 2010 bis heute erst zweimal kontrolliert wurde», meinte RadioShack-Teamleiter Wjatscheslaw Jekimow. Ähnlich hatte sich der Wahlschweizer Hondo geäußert, der die Garde der deutschen Profis mit acht Punkten anführt.
Die UCI war um Schadensbegrenzung bemüht. Sie erklärte allerdings nicht, wieso die angeblich Hochverdächtigen mit den auffälligen Blutwerten wie Hondo, Popowitsch, Barredo und 24 weitere Fahrer nicht schon längst aus dem Verkehr gezogen wurden. «Wir verfahren nach der Rechtsgrundlage 'Verdacht ist keine Schuld'. Die Liste rechtfertigt nicht, jemanden zu verdammen», erklärte die UCI. Auf der Grundlage der Werte der Biologischen Pässe und der letzten Kontrolle vor dem Tour-Start am 1. Juli 2010 sei in dem Papier eine Klassifizierung vorgenommen worden, die die Zielrichtung künftiger Tests vorgeben sollte.
Tour-Direktor Christian Prudhomme sieht in der Existenz der Unterlagen «den Beweis, wie ernst es dem Radsport in seinem Anti-Doping-Kampf ist». Allerdings ist auch der Einwand mancher Profis legitim, dass Krankheiten oder übliche Ruhephasen vor Wettkämpfen die Blutwerte verändern können. Rinaldo Nocentini, bei der Tour 2009 im Gelben Trikot, gab zu bedenken, dass eine Operation nach einem Beinbruch seine Werte sicher beeinflusst habe. Der Italiener, wie Hondo in der Gruppe der Fahrer mit acht Punkten, macht sich «überhaupt keine Sorgen» über mögliche Sanktionen.
Immerhin versprach Jan Mathieu, Teamarzt des belgischen Omega-Lotto-Teams, der belgischen Agentur «Sforza», dass seine Fahrer in diesem Frühjahr weniger auffällige Werte haben werden. Der frühere Fahrersprecher Jens Voigt, mit zwei Punkten kaum verdächtigt, hielt die Liste «für nicht so bedeutend, wie sie erscheinen mag», noch dazu, weil sie über den aktuellen Status der Fahrer nichts aussagt.