Annecy (dpa) - Die 96. Tour de France gefällt sich in scheinbarer Ruhe vor Doping-Erschütterungen. In Italien haben diese mit der Enttarnung des Giro-Zweiten Danilo di Luca bereits wieder heftig eingesetzt.
«Was für ein Skandal», titelte «La Gazzetta dello Sport». Knapp zwei Monate brauchten die Instanzen, bevor der Radsport-Weltverband UCI eine vorläufige Sperre - bis zur Öffnung der B-Probe am 3. August - aussprechen konnte. Der schon mehrfach auffällig gewordenen Italiener di Luca, der beim 100. Geburtstag des Giro d'Italia acht Tage im Rosa Trikot gefahren war und zwei Etappen gewonnen hatte, war nach Ziel-Kontrollen am 20. und 28. Mai des Blutdopings mit CERA überführt worden.
Wird der gleiche Zeitabstand zwischen Kontrolle und Bekanntgabe der Ergebnisse zugrunde gelegt wie beim Giro, könnten der bisher dopingfreien Tour im September Nachbeben bevorstehen. Nach dem Tour- Finale von Paris sollte es vorsichtshalber heißen: Gesamtklassement ohne Gewähr. «Man muss abwarten - die Endergebnisse liegen noch nicht vor», sagte der Kölner Doping-Analytiker Wilhelm Schänzer der Deutschen Presse-Agentur dpa zu eventuell noch zu erwartenden positiven Testergebnissen der laufenden Frankreich-Rundfahrt.
Bereits vor di Luca waren am vergangenen Freitag zwei Spanier nachträglich als Doper entlarvt worden: Inigo Landaluze war im Juni bei der Rundfahrt Dauphiné Libéré positiv, sein Landsmann Ricardo Serrano ebenfalls im Juni bei der Tour de Suisse. Di Luca ist die Nummer drei. Der 33-Jährige bestreitet - natürlich - ein Doping- Vergehen. «Ich wäre doch verrückt, CERA zu nehmen, wo doch jeder weiß, dass man damit erwischt wird. Ich traue dem Test nicht», sagte Di Luca. Gleichzeitig kündigte er jedoch an: «Wenn die B-Probe ebenfalls einen positiven Befund zeigt, beende ich meine Karriere.» Die war bisher gepflastert mit nachgewiesenen Manipulationen und handfesten Verdächtigungen - die «L'Équipe» nannte seinen Werdegang am Donnerstag «eine schwere Vergangenheit».
2004 wurde ihm der Tour-Start verboten, weil er in der Affäre «Oil for Drugs» mit dem einschlägig bekannten Mediziner Carlo Santuccione zusammengearbeitet hatte. 2007 war di Luca durch das Italienische Olympische Komitee CONI drei Monate wegen der Santuccione- Verbindungen gesperrt. 2008 forderte das CONI zwei Jahre Sperre, nachdem di Luca beim Giro 2007 anomale Hormonwerte - vergleichbar mit denen eines kleinen Jungen - aufgewiesen hatte. Die italienische Nationalmannschaft hatte di Luca von der WM vor zwei Jahren in Stuttgart zurückgezogen.
«Natürlich ist die positive Kontrolle di Lucas ein gutes Zeichen, denn wir sind auf dem richtigen Weg. Es wird immer dumme Leute wie ihn geben. Damit müssen wir leben - aber es werden weniger», meinte der Saxo-Bank-Teamchef Bjarne Riis, der 2007 öffentlich gebeichtet hatte, zu Zeiten seines Toursieges 1996 das Blutdoping-Mittel EPO und andere verbotene Medikamente genommen zu haben.
Auch Rolf Aldag, ehemaliger Team-Kollege von Riis zu Telekom- Zeiten und jetzt Teamchef bei der Super-Mannschaft Columbia-HTC, wertete die Enttarnung di Lucas als gutes Zeichen: «Es wird nichts unter den Teppich gekehrt, auch nicht bei einem Superstar. Wenn Italien jetzt zwei Tage leidet, können sie sich bei ihm bedanken.» Sicherheit, dass die Tour von ähnlichen Nachwirkungen verschont bleibt, hat Aldag natürlich nicht. «Es ist halt nur eine Hoffnung, denn wir wurden schon oft getäuscht», sagte er vor dem Zeitfahren in Annecy.
Unterdessen zogen die Giro-Organisatoren erste Konsequenzen: «Wir werden von Di Luca Schadenersatz fordern», kündigte Giro-Direktor Angelo Zomegnan an. Die Auszahlung der Giro-Prämien in Höhe von gut 190 000 Euro sind gestoppt. Sein Team LPR muss vertragsgemäß eine Strafe von 100 000 Euro zahlen. LPR-Teammanager Fabio Bordonali war außer sich vor Wut über seinen anscheinend unbelehrbaren Fahrer: «Ich habe ihn gerettet und er hat mich verraten», klagte Bordonali.