Hagen (rad-net) - Die Tour de l‘Aude gehört neben der Thüringen-Rundfahrt zu den wichtigsten und schwersten Rundfahrten des Frauen-Radsports. Thomas Liese ist in diesem Jahr für den Bund Deutscher Radfahrer (BDR) mit einer sehr jungen Mannschaft in Südfrankreich am Start. Zu den Teilnehmerinnen, die er für das Rennen mit Prolog und neun Etappen nominiert hat, gehört auch die erst 20-Jährige Elena Eggl vom Team Stuttgart, die damit ihren ersten Einsatz im BDR-Trikot abliefert. Zuletzt hatte sie mit Platz sieben beim Bundesliga-Rennen in Karbach auf sich aufmerksam gemacht und war nach dem Titel bei den gemeinsamen Meisterschaften von Baden und Württemberg kurzfristig für die Tour de l‘Aude nachnominiert worden. Damit geht für Eggl ein Traum in Erfüllung: «Dass ich nun das Nationaltrikot tragen darf, kann ich noch gar nicht begreifen», so die 20-Jährige, die von ihre Einsatz in Frankreich in den kommenden Tagen in einem Tagebuch für «rad-net» berichten wird.
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Lezignan-Corbieres, 18. Mai 2009
«Tja, das war‘s dann auch schon wieder mit meiner Tour de l‘Aude. Früher als gedacht muss ich mich schon wieder aus Frankreich verabschieden denn nach meinem Sturz heute ist die Rundfahrt für mich vorbei. Dabei war heute eigentlich alles gut, wir haben uns von unserem Abschneiden im Teamzeitfahren nicht entmutigen lassen und standen gut gelaunt am Start und ich war froh, die beiden Zeitfahren überstanden zu haben und dass es bald in die Berge gehen würde. Ich wollte ja wissen, wie gut ich dann in so einem Feld mithalten kann. Aber so weit ist es dann nicht mehr gekommen. Der Beginn des Rennens war gleich hektisch, immer wieder Straßenverengungen wie nach gerade mal 16 Kilometern. Alles bremst und vor mir die Fahrerin hat voll den Stachel rein und macht einen Schlenker genau zu der Seite, zu der ich ausweichen will. Ich kann nicht mehr stark genug bremsen, knall voll in ihr Hinterrad und merke nur noch, wie sich mein Rad selbstständig macht während ich den Abgang über den Lenker mache. Irgendjemand hilft mir auf und ich merke nur, dass mir das Blut runterläuft und schon bin ich im Krankenwagen. Eine Frau spricht französisch mit mir und sagt, dass es nicht so schlimm sei, nur die Lippe. Zum Glück sind noch alle Zähne drin. Dann sagt sie, dass sie mich ins Krankenhaus nach Carcassonne bringen werden. Warum bitte so weit weg?
Ich werde umgelagert in einen anderen Rettungswagen, dann geht es mit Tatütata ins Krankenhaus. Durch den Schock bekomme ich Schüttelfrost, aber ich werde einfach im Gang abgestellt. Ein netter Herr aus Drenthe kommt zur mir und beruhigt mich ein wenig. Dann passiert erst einmal lange Zeit nichts. Später höre ich jemanden sagen, ,sie kümmern sich nicht um das Mädchen‘, so ganz verschwunden ist mein Französisch zum Glück doch noch nicht. Und nach einer gefühlten Ewigkeit kommt sogar jemand und bringt mich in ein Zimmer, in dem mir ein Infirmier die Wunden säubert. Bald kommt dann auch der Arzt und näht mir die Platzwunde oberhalb der Lippe mit sechs Stichen.
Nach dieser Tortur wird noch der Ellenbogen geröngt, aber zum Glück ist nichts gebrochen. Als dann nach vier Stunden endlich alles fertig ist, wartet Thomas Liese auf mich. War ich froh, ein bekanntes Gesicht zu sehen... Zurück im Quartier hat mich dann die Mannschaft empfangen und die Physios haben mich umsorgt. Und wir hatten ja sogar noch was zu feiern, denn Denise hat auf der heutigen Etappe den dritten Platz gemacht. Super Leistung. Ich werde an den nächsten Tagen natürlich noch oft an die Mädels denken und ihnen die Daumen drücken. Aber ich bin schon ziemlich geknickt. Ich hatte mich so auf die Berge gefreut und jetzt ist die Tour de l‘Aude für mich schon vorbei, bevor sie erst richtig angefangen hat. Statt in die Berge geht‘s jetzt heim. Mein Freund holt mich extra von hier ab. Wie die Saison jetzt weitergeht, weiß ich noch nicht. Wegen der Fäden habe ich ja zuerst einmal Sportverbot. Also abwarten - und Daumen drücken für die Mädels.»
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Port la Nouvelle, 17. Mai 2009
«Das Mannschaftszeitfahren, das war mal meine Angstetappe heute... Aber ich lebe zum Glück noch. Nach dem Mittagessen haben wir uns erst einmal die Strecke angesehen und dabei auch gleich unsere Wechsel geübt. Wir fahren schließlich erst ein paar Tage zusammen und so ein Teamzeitfahren war für mich und Lina komplett Neuland - und ich auch noch ohne Zeitfahrrad mittendrin. Das Training hat mir dabei eher weniger Zuversicht gegeben, aber es hat ein bisschen geholfen, dass mir alle gut zugeredet haben.
Vor dem Start war ich entsprechend das reinste Nervenbündel und dann hat mich der Festhalter auch noch zu spät losgelassen. Zum Glück war der größte Teil der Aufregung nach ein paar Kurven verfolgen. Danach habe ich mich dann nur noch auf unsere Reihe und mein Hinterrad konzentriert, das von Lina. Daran wollte ich mich heute festbeißen.
Die ersten Kilometer waren noch sehr ungleichmäßig. Ein Kreisverkehr nach dem anderen... Aber dann kam eine elend lange Gerade, auf der wir richtig gut in Fahrt gekommen sind. Immer so knapp Tempo 50, die Mädels haben wirklich alle eine super Arbeit geleistet. Respekt. Am Berg dann auf die Zähne beißen und drüber über die Kuppe, danach noch ein fieser Gegenhang, vor dem ich ziemlich gebangt hatte, aber wir sind dann doch zu sechst auf die letzten zehn von 27 Kilometern gegangen.
Als wir dann an der Fünf-Kilometer-Marke waren, hat sich langsam Erleichterung breit gemacht. Setzt wenn ich jetzt noch flöten gehen sollte, wäre die Karenzzeit wohl kein Thema mehr gewesen. Die letzten Kilometer hatten dann noch ein paar haarige Kurven, danach nur noch Tempo, Tempo, Tempo. Die drei mit den meisten Reserven sind noch einmal gesprintet, die Zeit der dritten Fahrerin zählte schließlich. Ich war nur heilfroh, als ich die Etappe hinter mir hatte und wir alle gemeinsam im Ziel waren. Eine tolle Mannschaftsleistung, ohne vorher zusammen trainiert zu haben. Ich konnte leider nicht sehr viel helfen und bin nicht so viel Führung gefahren heute, aber ich hoffe, dass ich der Mannschaft in den nächsten Tagen auch noch helfen kann.»
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Rieux Minervois, 16. Mai 2009
«Nach dem ganzen Stress der vergangenen Tage konnten wir heute gemütlich in den Tag starten, da wir erst um 12 Uhr zum Ort des Etappenstarts, der auch Zielort war, aufbrechen mussten. Start war um 14 Uhr und das Wetter hatte sich auch zu unseren Gunsten gedreht. Der Wind hatte nachgelassen und der Himmel war blau, wie er nur sein konnte bei angenehm warman 24 Grad, die mir im Rennen schon eher ziemlich heiß vorkamen.
Nachdem wir von unseren Physios alle mit Flaschen, Riegeln und Gels versorgt worden waren, sind wir zum Start gerollt. Los ging‘s dann ganz gemütlich - zumindest für die ersten 20 von heute 116,5 Kilometern. Dann gab es die ersten Attacken. Zum Glück hat sich meine Nervosität mit der Zeit gelegt, da ich gut ins Rennen reingekommen bin und auch im Feld keine Probleme hatte. Diese großen Felder sind noch was neues für mich, ist schon was anderes in einem Pulk von über 100 Fahrerinnen zu fahren oder zu zehnt. Bin aber immer gut im vorderen Drittel mitgekommen und von daher schon ganz zufrieden mit mir. Ist auf jeden Fall schon einmal ein tolles Gefühl, zwischen Radsportgrößen wie der Weltmeisterin Marianne Vos oder Ina-Yoko Teutenberg zu fahren.
Das Gelände war heute größtenteils flach. Aber es kamen auch immer wieder einige Wellen, die bei hohem Tempo auch ganz schön unangenehm werden. Für Aufregung im Feld sorgen vor allem immer wieder die Ortsdurchfahrten gespickt mit engen Gassen, scharfen Kurven und schönen «speed bumps».
Als wir an die Bergwertung kamen, habe ich versucht, mich mal möglichst weit nach vorne zu arbeiten. Aber plötzlich hat es vor mir gekracht und ich sehe zwei Fahrerinnen und zwei Räder durch die Luft fliegen. Ich habe zwar gerade noch die Kurve bekommen und bin dem drohenden Sturz entkommen. Doch die gute Position war erst mal flöten und so war ich leider nicht vorne dabei, als es in den Anstieg reinging. Eine scharfe Linkskurve und dann ein steiler Stich. Und genau in dieser Haarnadelkurve stand ein Mädel mit ihrem Rad in der Hand, um die wir alle erstmal rum mussten – das kostet natürlich Tempo. Das wieder draufzukriegen war am Berg verdammt unangenehm. Etwa 200 Höhenmeter waren auf drei Kilometer zurückzulegen, und oben gab es eine Bergwertung der zweiten Kategorie. Deshalb wurde natürlich vorne richtig Tempo gemacht und attackiert, so dass bald die ersten Löcher da waren. Ich bin dann in einer Gruppe hinter dem großen Feld über den Berg, aber zum Gück waren wir bald wieder drin in der großen Masse.
Auf den letzten 60 Kilometern ist dann nicht mehr viel Spektakuläres passiert. Columbia-Highroad und Nürnberger haben sich vor das Feld gespannt, um die Ausreißer einzuholen. Einige unangenehme Wellen gab es noch, aber die Kilometer gingen trotzdem schnell vorbei und dann wurde es auch schon hektisch im Feld. Fünf Kilometer vor dem Ziel war ich dann doch ganz schön froh, das entsprechende Schild zu sehen, das hohe Tempo hat sich doch bemerkbar gemacht. Ich habe mich am Ende auch aus den Positionskämpfen herausgehalten. Ob ich nun 35. werde oder 65., das ist wirklich nicht von von Bedeutung. Dann die Ziellinie und Erleichterung. Auf Platz 47 bin ich gelandet – gar nicht schlecht. Und in der Gesamtwertung habe ich mich auch schon in die ersten Hundert vorgearbeitet...
Morgen steht jetzt das Mannschaftszeitfahren auf dem Programm, vor dem ich persönlich schon ein wenig Bammel habe – ist es schließlich mal wieder eine Premiere für mich. Schau mer mal, ich hoffe ich überlebe den Tag.»
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Carcassonne, 15. Mai 2009
«So, der erste Tag wäre schonmal überstanden. Wir hatten sogar Glück mit dem Wetter. Nachdem wir gestern von heftigstem Regen empfangen worden sind, wurden wir heute von blauem Himmel und Sonne überrascht - dazu allerdings von brutalem Wind, der immer stärker wurde. Nach dem Frühstück sind wir zuerst zur Besichtigung der knapp vier Kilometer langen Strecke des Prologes gefahren. Ich musste den Auftakt dann erst einmal mit dem normalen Rennrad fahren, da für mich auf die Schnell kein passendes Zeitfahrrad organisiert werden konnte. Aber große Erwartungen hatte ich ja an den Prolog ohnehin nicht, war ja meine absolute Zeitfahr-Premiere.
Vor dem Start war ich entsprechend nervös, weil flach und windig mag ich gar nicht. Aber so bald ich von der Startrampe gerollt war, war das weg. Da habe ich nur noch gedacht, treten, treten, treten. Aber das war gar nicht so einfach bei dem Gegenwind. War ich froh, als ich die ersten 900 Meter geschafft hatte und auf die erste Rückenwindpassage gehen konnte. Und irgendwie gingen dann auch die restlichen drei Kilometer bis zum Ziel rum. Ich habe zum Schluss noch versucht, die letzten 200 Meter zu sprinten, aber die Beine waren so blau, da ging nicht mehr viel.
Danach kam es wie erwartet, ich habe nun die rote Laterne - um 0,8 Sekunden am vorletzten Platz vorbei. Aber ich trag‘ es mal mit Fassung, mein Terrain kommt noch und auf die Straßenrennen freue ich mich jetzt voll. Die anderen sind übrigens super gefahren. Denise ist auf Platz 28 gelandet und ist Vierte in der Wertung der U23, Lina ist als 43. noch in den Top-50. Und das war auch schon der erste Tag - ansonsten ganz angenehm, wenn man umsorgt wird und abends noch eine Massage bekommt. Hoffentlich ist jetzt nur noch das Abendessen etwas geschmackvoller als gestern.»
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Carcassonne, 14. Mai 2009
«Mittwoch haben wir uns ja schon in Kirchzarten getroffen. Sechs Sportlerinnnen, Bundestrainer Thomas Liese, zwei Physios und ein Mechaniker. Heute früh sind wir dann auf die lange Reise in den Süden gegangen - 900 Kilometer bis Carcassonne. Hier sind wir erst einmal von strömendem Regen empfangen worden. Hoffentlich bleibt das nicht so... Dazu dann die schlechte Nachricht, wir mussten noch einmal 70 Kilometer zurück ins Quartier, da unsere Sachen abliefern, dann wieder 70 Kilometer nach Carcassonne zur Teampräsentation. Zum Glück gab es dort Kekse. Die haben das Warten etwas erträglicher gemacht. Auf jeden Fall waren wir am Abend mal richtig froh, dass wir zum Essen und ins Bett gekommen sind - nach über 1000 Kilometern im Auto.»
Elena Eggl im Sportlerportrait von «rad-net»
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