Leipzig/Lüttich (dpa) - Die Botschaft von Tadej Pogacar war eindeutig. «Watch the Femmes», stand gut lesbar auf der Mütze des Radsport-Stars - schaut euch die Frauen an. Damit warb der dreimalige Sieger der Tour de France bei seiner Trainingsausfahrt am Wochenende für die feminine Auflage des Rennens, die in diesen Tagen auf der Strecke von Rotterdam nach Alpe d'Huez zum dritten Mal eine Siegerin ermittelt. Es ist in vielerlei Hinsicht ein Experiment und eine Standortbestimmung für den Frauen-Radsport.
Erstmals startet die Tour de France Femmes nicht am Schlusstag des Männer-Rennens, verzichtet auf dessen medialen Windschatten. Zudem werden die Etappen bei der ARD erstmals im Hauptprogramm übertragen. Der Aufstieg ins Erste habe auch mit dem Thema «Gleichberechtigung zu tun», erklärte Uli Fritz, Sportchef beim zuständigen Saarländischen Rundfunk, der dpa. «Es spielt aber auch eine Rolle, etwas Neues auszuprobieren.»
Olympia-Müdigkeit hemmt Quote
Bisher ist das Publikumsinteresse noch überschaubar. Zwischen 200.000 und 390.000 Zuschauern lagen die Reichweiten der bisherigen Etappen, die Marktanteile im Durchschnitt unter fünf Prozent. Fritz sieht als einen Grund eine «gewisse Olympia-Müdigkeit» des Publikums nach den Spielen in Paris. Und: «Es fehlen die deutschen Stars.»
Auch in Frankreich ist spürbar, dass das eine Woche lange Rennen beim Interesse nicht das Klassement anführt. Die Sporttageszeitung «L'Équipe», so etwas wie das Zentralorgan der Tour, widmet den Femmes täglich zwei magere Seiten im hinteren Teil der Ausgabe. Bei den Männern ist es schon mal das Fünffache - plus die Titelseite.
Entwicklung wie beim Frauenfußball?
Allerdings könnte ein höheres Popularitätslevel nur eine Frage der Zeit sein. Schließlich ist die heuer in Rotterdam gestartete Tour erst die dritte Auflage. So zeigt sich auch Fritz optimistisch, dass die Quoten zum Ende der Tour und in den kommenden Jahren besser werden und sich die Frauen-Tour auch medial durchsetzen kann. «Beim Frauenfußball hat es auch seine Zeit gebraucht, und heute ist er beim Publikum sehr beliebt», sagte Fritz.
In der Tat hat der Frauen-Radsport in den vergangenen Jahren einen phänomenalen Aufschwung erlebt. Die mediale Präsenz ist um ein Vielfaches gestiegen, es gibt Mindestlöhne, große Sponsoren engagieren sich und sportlich ist man deutlich professioneller aufgestellt.
Aufstieg mit Schattenseiten
Die Einführung der Tour war letztlich die logische Konsequenz des Aufstiegs. «Wir haben die Tour nicht ins Leben gerufen, um die Fahrerinnen zu belohnen. Sondern, weil sie es sich verdient haben», sagt Rundfahrt-Chefin Marion Rousse. «Wenn die Menschen den Fernseher einschalten, dann stellen sie fest: Es ist schnell und es ist spektakulär. Die Mentalität hat sich sehr geändert.»
Der rasante Aufstieg hat allerdings auch seine Schattenseiten. Eine davon ist das Humanpotenzial. Es gibt zwar einen vollen und interessanten Rennkalender, doch insgesamt noch zu wenige Fahrerinnen, die auf dem höchsten Niveau fahren können. Das zeigte sich bereits am Montag bei der Tour. Gleich vier der sieben Fahrerinnen des Teams Taschkent mussten das Rennen schon auf der ersten Etappe aufgeben. Ein gutes Bild auf den Sport warf das nicht.
Männer-Teams doppelt so groß
Den Fahrerinnen ist kein Vorwurf zu machen, sie waren schlicht noch nicht so weit. Vielmehr nutzte das auch mit Staatsgeldern finanzierte Team eine Lücke im Reglement, um die nötigen Punkte für eine Tour-Wildcard zu sammeln. Schon beim Giro d'Italia hatte nur eine von sieben Fahrerinnen das Ziel erreicht. Der Tour-Organisator ASO möchte das kritische Thema nicht kommentieren.
Gefallen haben dürfte es den Machern in Paris nicht. Schließlich ist die Tour schon bei der dritten Auflage das Aushängeschild des Sports. «Die Tour ist mittlerweile das wichtigste Rennen im Kalender», sagte Liane Lippert bei «Zeit Online».
Die deutsche Top-Fahrerin betont auch, dass personell Nachholbedarf herrscht. «Langfristig kommt es darauf an, wie sich der Frauen-Radsport weiterentwickelt. Um wochenlange Rennen zu fahren, brauchen wir größere Teams», sagte die 26-Jährige. In den WorldTour-Teams der Männer sind 30 Profis angestellt, bei den Frauen sind es etwa die Hälfte.
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