Paris (dpa) - Marcel Kittel geht leicht als Traum vieler Schwiegermütter durch. Bei der Jubiläumsausgabe war der sympathische Thüringer das neue Gesicht der 100. Tour de France und Sinnbild für den größten Erfolg deutscher Radprofis seit der Zeit von Jan Ullrich und Erik Zabel.
Der 25-Jährige trug bei der größten Radsport-Party der Welt das erste Gelbe Trikot in Bastia und triumphierte auch auf den Champs Elysées. Insgesamt feierte er schier unglaubliche vier Etappensiege und stellte Ex-Weltmeister Mark Cavendish deutlich in den Schatten. Je einmal erfolgreich waren André Greipel und Tony Martin.
Unter dem Strich standen sechs deutsche Etappensiege, womit der Rekord aus dem Jahr 1977 eingestellt wurde. Hinzu kamen Achtungserfolge des nimmermüden Altmeisters Andreas Klöden und des Debütanten John Degenkolb als Etappenzweite. Die Frankreich- Rundfahrt 2013 bleibt aus deutscher Sicht als Tour d'Allemagne haften, bisher ohne schalen Beigeschmack. Verbandschef Rudolf Scharping ist jedenfalls «stolz».
Meistens freundlich und unbekümmert, pfeilschnell und cool, wenn es darauf ankommt: Das sind Kittels Markenzeichen. Der große Blonde aus Arnstadt gilt als Vertreter der neuen Generation, für die Fragen nach Doping nicht automatisch zum Reizthema werden. Das gilt in ähnlicher Form auch für Greipel und Martin, für die Oldies Jens Voigt (41) und Klöden (38) kaum. Kittel, den die «L'Équipe» nach dessen drittem Erfolg in Tours etwas vorschnell als Nachfolger von Mark Cavendish gefeiert hatte, scheute sich Monate vor der Tour nicht, Front gegen den Ex-Doper Alberto Contador zu machen.
Zusammen mit seinem Teamkollegen Degenkolb vom Argos-Shimano- Rennstall und Martin hatte er ein Anti-Doping-Gesetz nach französischem Vorbild gefordert. Sein niederländisches Team gehört wie 13 weitere Mannschaften zur Bewegung für einen sauberen Radsport, MPCC. Das bedeutet unter anderem, dass die Fahrer auch von dieser Organisation und nicht nur von der Französischen Anti-Doping-Agentur AFLD bei der Tour getestet wurden. «In Tours musste ich nach dem Ziel zur obligatorischen Kontrolle. Abends im Hotel kamen sie wieder», berichtete der Sprinter.
Für Tony Martin war die Tour 2013 wie im Vorjahr zunächst wieder mit sehr viel Schmerzen verbunden, die pure Freude kam erst später. Ein fürchterlicher Sturz auf der ersten Etappe schien das Aus zu bedeuten. Aber Martin wiederholte seine von 2012 bekannte Tour der Leiden, diesmal mit einer Lungenprellung, einer tiefen Fleischwunde am Ellenbogen und Schürfwunden am gesamten Körper. Seine große Motivation zum Durchhalten war das Zeitfahren zum Kloster Mont Saint-Michel am 12. Tourtag.
Der 28-Jährige, den im Vorjahr ein Bruch des Kahnbeins früh aus der Bahn geworfen und zur späteren Aufgabe gezwungen hatte, wurde seiner Favoritenrolle gerecht. Zwölf Sekunden vor Toursieger Christopher Froome holte er sich seinen zweiten Etappensieg nach 2011. «Endlich Paris. Nach dreieinhalb Wochen bin ich fix und alle, aber auch froh», sagte Martin. An drei Stellen seien die Wunden seiner Verletzungen noch nicht verheilt.
Die Erfolgsserie in Frankreich konnten die Fans zu Hause live im Fernsehen nur beim Spartensender Eurosport verfolgen. Deshalb forderte Scharping ein Umdenken von den öffentlich-rechtlichen Stationen. «Das Interesse in Deutschland ist groß und wurde durch die Erfolge der deutschen Teilnehmer noch gesteigert», betonte der Präsident des Bunds Deutscher Radfahrer (BDR). «Vor diesem Hintergrund bin ich überzeugt, dass ARD und ZDF ihre Berichterstattung für die kommenden Jahre überdenken und vielleicht neue, spannende Formate entwickeln werden.» Vor wenigen Tagen hatte ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz jedoch mitgeteilt, dass es derzeit keine Pläne gebe, zu einer Live-Berichterstattung über die Tour zurückzukehren.
Sportlich zeigte sich Scharping äußerst zufrieden. «Für den BDR kommen die Erfolge nicht überraschend. Seit Längerem setzen wir auf junge unverbrauchte Sportler. Ihre Leistungen werden respektiert und als saubere Leistung anerkannt.» Sie heute «wegen des 'verseuchten' Jahrzehnts unter Generalverdacht zu stellen, ist unfair», ließ Scharping, beim Tourfinale auf dem Rückflug von einer Geschäftsreise aus Peking, in einer Pressemitteilung wissen.