Meaux (dpa) - Jan Ullrich hat nach einem Jahr Pause bei der Tour de France auf Anhieb wieder Fuß gefasst. Die vom italienischen Giro-Dominator Alessandro Petacchi vor Robbie McEwen (Australien) und Erik Zabel (Unna) gewonnene 1. Etappe vom Tour-«Geburtsort» Montgeron nach Meaux beendete Ullrich nach 168 km an der Spitze des Hauptfeldes.
Einen Massensturz 400 Meter vor dem ersten Ziel der 100. Jubiläums-Rundfahrt, in den auch der Träger des Gelben Trikots, Bradley McGee, verwickelt war, überstand der 29- jährige Olympiasieger schadlos. Der Schreck aber saß tief. «Man sieht, dass man nirgendwo sicher ist...», meinte Ullrich. Auch Armstrong überstand den Zwischenfall ohne Blessuren, doch für den Romandie-Sieger und Mitfavoriten Tyler Hamilton ist die Frankreich- Rundfahrt durch einen Schlüsselbeinbruch bereits vorbei. Insgesamt fünf der rund 35 gestürzten Radprofis wurden nach Angaben aus dem Ärzte-Stab der Tour ins Krankenhaus eingeliefert.
Zu den Verletzten gehörte auch Gerolsteiner-Kapitän Davide Rebellin (Italien). Arg erwischte es den Franzosen Jimmi Casper mit einer schweren Halswirbel-Prellung sowie den Niederländer Marc Lotz mit erheblichen Gesichtsverletzungen. Der Spanier Enrique Gutierrez war nach einer leichten Biegung in dem zum Spurt ansetzenden Feld als erster ins Straucheln geraten, als er in das Rad des Franzosen Antony Geslin geriet.
Alessandro Petacchi war der Kollision entgangen und feierte seinen ersten Tour-Etappensieg. Das Gelbe Trikot verteidigte trotz des Sturzes der Australier McGee, der den Prolog am Eiffelturm zwei Sekunden vor Ullrich (4.) gewonnen hatte. Zeitrückstände werden nicht gewertet, wenn sich ein Sturz in der 1000-Meter-Zone vor dem Ziel ereignet. «Alessandro ist der kommende große Mann im Sprint. Er hat bewiesen, dass seine sechs Siege beim Giro nicht von ungefähr kommen», sagte Zabel nach dem hektischen Finale.
«Jan ist wahrscheinlich seinen besten Tour-Prolog gefahren, obwohl er im Jahr seines Sieges Zweiter geworden war», freute sich sein Bianchi-Teamchef und Betreuer Rudy Pevenage. «Ich habe weiter einen großen Sprung nach vorne getan. Ich hätte niemals gedacht, dass ich im Prolog vor Armstrong lande. Das ist für den weiteren Verlauf der Tour kein Maßstab, aber es gibt Selbstvertrauen», sagte Ullrich, der trotz seines Blitzstarts am Wochenende nach seiner Zwangspause im Vorjahr mit Knie-Operationen, Doping-Sperre und Führerschein-Entzug, auf dem Teppich blieb. «Wenig Zeit verlieren und ohne Sturz durchkommen», lautete am Sonntag seine Vorgabe für die nächsten Flachetappen.
Armstrong, der bisher bei Tour-Prologen noch nie mit einem Platz hinter Ullrich zufrieden sein musste, suchte die Gründe für seine relativ bescheidene Leistung zum Auftakt mit Rang sieben bei sich selbst. «Entgegen sonstiger Gewohnheit hatte ich mir den Kurs vorher nicht angeschaut. Das Kopfsteinpflaster hat mir zugesetzt und ich war die Strecke zu verhalten angegangen. Um so zufriedener bin ich mit den Leistungen meines Teams. Beim Mannschaftszeitfahren wird sich im Gesamtklassement einiges ändern», prophezeite der vierfache Toursieger, der den Miguel-Indurain-Rekord mit fünf Erfolgen in Reihenfolge knacken will. Vier Fahrer seines US-Postal- Teams kamen auf den ersten 6,5 von 3427 km unter die ersten 15.
Die ersten Akzente setzten die drei Franzosen Christophe Mengien, Walter Beneteau und Andy Flickinger. Nach dem Start vor dem Restaurant «Reveil Matin», wo die erste Tour de France am 1. Juli 1903 begann, riss das Trio bei Kilometer 19 aus und fuhr auf dem flachen Kurs einen bemerkenswerten Vorsprung von neun Minuten heraus. Aber die Ausreißer, die in Montgeron wie alle übrigen 195 Tour-Teilnehmer mit einem Konfetti-Regen auf die Reise geschickt worden waren, wurden wenige Kilometer vor dem Ziel gestellt. Flickinger hatte sich am längsten gewehrt.
Zabel, der am Montag seinen 33. Geburtstag feiert, musste zehn Kilometer vor dem Ziel noch einen Reifen-Defekt wegstecken. Zwei Team-Kollegen hatten ihn aber rechtzeitig wieder ans rasende Feld geführt. «Aber dann fehlte am Ende die Kraft. Selten war ich nach einer Auftakt-Etappe so fertig», erklärte der Weltranglisten-Zweite.
Nach dem Sturz im Finale musste der Gerolsteiner-Profi Olaf Pollack (Kolkwitz) sein Rad auf der Schulter über den Zielstrich tragen. «So ein verrücktes Rennen habe ich noch nie erlebt, hier geht es wohl um Leben und Tod», vermutete der geschockte Tour-Debütant Pollack. «Das Rad von Rebellin sieht aus wie vom Metzger, völlig zerstört und voller Blut», berichtete Gerolsteiner-Chef Hans-Michael Holczer. Trotz der sichtbaren Folgen erlitt Rebellin nur eine relativ kleine Schnittwunde an der Schulter.