Revel (dpa) - Für Andreas Klöden ist die Tour de France spätestens mit dem frühen Aus mehr Leidensweg als Triumphfahrt geworden.
Zwar hat der Lausitzer mit Schweizer Wohnsitz der Rundfahrt durch seinen zweiten Platz vom Vorjahr einen Millionen-Vertrag zu verdanken, aber bitterste Erfahrungen wurden wieder unliebsam aufgefrischt. 2003 musste er die Tour mit einem Steißbeinbruch aufgeben. In diesem Jahr stieg er einen Tag nach seinem Sturz am Mittwoch vom Rad. «Ich konnte nicht bremsen und kaum den Lenker fassen», sagte Klöden, der nach Hause fliegen wird, wo die weitere Therapie seines Kahnbeinbruchs festgelegt werden soll.
Der 30-jährige deutsche Meister von 2004 hatte es mit einem Kahnbeinbruch im rechten Handgelenk und einer 20 Zentimeter langen Gipsmanschette zunächst noch versucht. Doch nach 13 Kilometern, einem Bruchteil der 239,5 Kilometer, die beim längsten Tagesabschnitt der diesjährigen Tour auf dem Programm standen, siegte die Vernunft. Die Leiden waren ihm ins schmale Gesicht geschrieben, als er aufgab und in den Begleitwagen stieg.
Klöden war am Vortag auf dem Weg nach Pau in einen Massensturz 15 Kilometer nach dem Start verwickelt. Mit ihm fielen auch der Gesamt- Sechste vom Team Gerolsteiner, Levi Leipheimer (USA), und der Italiener Giuseppe Guerini vom Team T-Mobile. Beide blieben ohne große Verletzungen. Nicht so Klödens Team-Kollege Matthias Kessler: Der Nürnberger, dem Abwanderungsgelüste Richtung Gerolsteiner nachgesagt werden, trat mit einer Wirbelsäulen-Stauchung und einer leichten Gehirnerschütterung zur 17. Etappe an und beendete sie.
«Erst war es nicht so schlimm. Aber im Laufe der Etappe ist meine Hand dick angeschwollen und ich konnte den Lenker nicht mehr richtig greifen», schilderte Klöden seinen über 165 Kilometer führenden Leidensweg vom Sturz bis ins Ziel der 16. Etappe. Teamarzt Lothar Heinrich musste am Abend Überstunden einlegen. «Wenn Andreas bei Steigungen stark am Lenker ziehen muss, oder es große Erschütterungen durch Straßen-Unebenheiten gibt, kann er Schwierigkeiten bekommen», prophezeite der Mediziner der Uni-Klinik Freiburg in Pau am Start der 17. Etappe. Heinrich hatte sich bei einem Hand-Chirurgen in Freiburg nach der angezeigten Therapie unter erschwerten Bedingungen erkundigt, Klöden eine Spezialschiene angelegt und Schmerzmittel verabreicht.
«Wäre es in der ersten oder zweiten Woche passiert, wäre er sicher sofort nach Hause gefahren», meinte Heinrich. Klöden und Kessler wollten auch deshalb unbedingt weiterfahren, um Platz eins in der Mannschaftswertung abzusichern. Wenigstens in dieser Rangliste kann Lance Armstrong dem T-Mobile-Team nicht das Wasser reichen.
Die Prognosen standen vor der Tour für «Hilde», wie Klöden seit Jugendzeiten in Cottbus genannt wird, nicht gut: Falsches Training, die Aufgabe beim Flèche Wallonne und ein magerer Sieg bei der Bayern- Rundfahrt schienen ihn zu allem anderen als zu einem Trumpf-As in den taktischen Spielen des T-Mobile-Teams zu machen. Aber seine Attacke am eher harmlosen Col de la Schlucht im Elsass ließ aufhorchen und brachte den übermächtigen Rekordsieger Armstrong leicht ins Straucheln. Sein Aufwand auf der 8. Etappe wurde mit Platz zwei acht Millimeter hinter dem Etappensieger Peter Weening (Niederlande) belohnt.
Obwohl er eigene Ambitionen zu Gunsten der Unterstützung seines Kapitäns Ullrich - zum Beispiel auf der ersten Alpenetappe nach Courchevel - zurückschraubte, hatte Klöden vor seinem Unfall keine schlechten Perspektiven. Das schwierige Zeitfahren in St. Etienne vor Augen, hätte ihm in Paris sicher ein Platz unter den besten acht gewinkt, und für das kommende Jahr schätzt der Olympia-Dritte von Sydney sein Potenzial durchaus selbstbewusst ein: «Wenn in der Vorbereitung alles optimal läuft und ich gesund bleibe, traue ich mir auf jeden Fall einen Platz auf dem Podium zu.» Die Tour 2005 verließ er auf Platz 11.
«Die Entscheidung, wie wir weiter vorgehen, fällt bei einem Hand-Chirurgie-Spezialisten in Freiburg, der von uns schon mehrere Fahrer nach Verletzungen operierte. Wenn Andreas unters Messer muss, könnte er bei günstigem Verlauf nach etwa zehn Tagen bereits wieder auf dem Rad sitzen. Bei konventioneller Vorgehensweise könnte er 12 Wochen ausfallen», erklärte T-Mobile-Teamarzt Lothar Heinrich am Mittwoch in Revel.