Valence (dpa) - Mit einer dicken Wunde unterhalb des Knies kletterte André Greipel erneut auf das große Podium der Tour de France. Weder von den Sturzverletzungen vom Vortag noch von Schaltproblemen im Finale hatte sich das Kraftpaket aus Rostock auf dem Weg zu seinem Triple aufhalten lassen.
«Ich bin eben ein Fischkopp. Ich stecke sowas weg», sagte Greipel mit Blick auf seine mit mehreren Stichen genähte Blessur vom Vortag und setzte ein breites Grinsen auf. In seinem Schatten stand dagegen - mal wieder - John Degenkolb, der zur tragischen Figur der Tour wird.
Greipel hatte mit letzter Verbissenheit und einem gekonnten Tigersprung eine halbe Radlänge vor Degenkolb und dem Norweger Alexander Kristoff ins Ziel gerettet. Dabei lief es im Finale der 15. Etappe nach 183 Kilometern von Mende nach Valence alles andere als optimal. Erst 150 Meter vor dem Ziel gelang es Greipel, in seinen höchsten Gang zu schalten. «Ohne den Gang hätte ich es gegen Degenkolb nicht geschafft», sagte der zweimalige deutsche Meister. Damit war die deutsche Sprinterhierarchie einmal mehr bestätigt.
Für Greipels Teamchef Marc Sergeant war spätestens in Valence sogar klar: «Er ist der beste Sprinter der Tour.» Beim Finale auf den Champs Élysées kann sich der 33-Jährige endgültig zum König krönen. «An Paris denke ich noch nicht. Bis dahin ist es noch weit.» Schließlich warten vorher noch die Bergriesen in den Alpen, und am Montag rückt dann wieder das Gelbe Trikot von Christopher Froome in den Mittelpunkt.
Bislang hatte der Brite problemlos die sportlichen Attacken seiner Rivalen pariert. Der Brite liegt vor dem Showdown der Tour deutlich vor dem Kolumbianer Nairo Quintana (3:10 Minuten Rückstand) und dem Amerikaner Tejay van Garderen (3:32). Viel mehr zu schaffen machen dem Sky-Kapitän aber die Anfeindungen vom Straßenrand.
Nach der Etappe am Samstag, die der Brite Stephen Cummings auf dem Flugplatz in Mende gewann, war Froome über die Urin-Attacke «maßlos enttäuscht». Der Vorfall gut 55 Kilometer vor dem Ziel war der Tiefpunkt bei der Tour 2015, bei der sich der Sky-Kapitän seit Tagen mit Doping-Anschuldigungen auseinandersetzen muss.
Am Sonntag hatte sich die feindliche Stimmung etwas gelegt. Beim Start wurde der Toursieger von 2013 mit donnerndem Applaus bedacht, und auch unterwegs gab es keine unappetitlichen Zwischenfälle. «Die Atmosphäre war heute fantastisch. Ich will betonen, dass es sich bei den Anfeindungen nur um eine kleine Anzahl handelte», sagte der Spitzenreiter.
Ungeachtet dessen erhielt sein Team Polizeischutz. Denn in den vergangenen Tagen hatte Froomes Kollege Richie Porte von Faustschlägen in den Pyrenäen berichtet, dazu war das Sky-Auto mit vollen Cola-Dosen beworfen worden. «Wir fahren jeden Tag durch eine Art Fußball-Mob», erregte sich Froome-Chef Sir Dave Brailsford.
Greipel war dagegen nach Feiern zumute, schließlich holte er bereits seinen neunten Tour-Etappensieg. Nur Erik Zabel, der Doping gestanden hat, liegt mit zwölf Erfolgen in der deutschen Rangliste noch vor ihm. Doch Bestmarken dieser Art interessieren ihn nicht. «Zabel ist Zabel. Ich hoffe, dass ich noch ein paar gute Jahre vor mir habe und gute Ergebnisse erzielen kann», sagte der Lotto-Kapitän.
Degenkolb wäre schon froh, überhaupt mal auf das Podium zu klettern. «Was soll ich sagen - ich bin enttäuscht», erklärte der Kapitän der bislang so erfolglosen Giant-Alpecin-Mannschaft. Beim x-ten Anlauf auf seinen ersten Etappensieg musste sich der Frankfurter schon zum fünften Mal mit einem zweiten Platz seit seinem Tour-Debüt 2013 begnügen.
Damit dürfte die Tour für Degenkolb gelaufen sein. Nach den Alpen gibt es nur noch eine Sprintentscheidung: beim Finale in Paris. Dort dürften beim Hochgeschwindigkeitssprint aber wieder eher Greipel und der Brite Mark Cavendish, der am Sonntag abgehängt wurde, zu den Favoriten zählen.