Grenchen (dpa) - Jens Voigt ist mit Karacho in den Ruhestand gerast. Nach 18 abwechslungsreichen Jahren als Radprofi wird sich der Veteran nun wohl endgültig aufs Altenteil zurückziehen.
Zum Abschied hat der Wahlberliner einen Tag nach seinem 43. Geburtstag aber noch einmal richtig aufgedreht: Voigt brach den Stundenweltrekord als erster Deutscher und rückt damit in den Annalen an die Seite der großen Champions Eddy Merckx, Fausto Coppi und Miguel Indurain. Bei seiner rasanten Fahrt über 51,115 Kilometer kam sich der gebürtige Mecklenburger in Grenchen in der Schweiz vor wie «bei einem Ausreißversuch mit dem rasenden Feld hinter mir».
Zum krönenden Abschluss seiner Karriere verbesserte Voigt die neun Jahre alte Bestmarke des Tschechen Ondrej Sosenka (49,700 km) um 1415 Meter. Als im Velodrom die Nationalhymne zu Ehren des Wahlberliners gespielt wurde, verdrückte der hart gesottene Routinier einige Tränen. Rund 1000 Zuschauer brachten ihm ein nachträgliches Geburtstagsständchen.
«Ich wollte meine Karriere mit einem Knall beenden und nicht langsam in die Rente fahren - das war die wohl beste Art, sich zur Ruhe zu setzen», erklärte der sechsfache Familienvater, der aber weiter im Sattel sitzen wird. Zum Beispiel an diesem Samstag in England bei einem Charity-Rennen und vielleicht auch beim Berliner Sechstagerennen vom 22. bis 27. Januar 2015.
Allerdings schloss Voigt einen Sixdays-Start beim abendlichen Bankett mit Champagner und großer bunter Glückwunschtorte noch aus. Aber vielleicht lässt er sich vom umtriebigen Sechstagechef Dieter Stein doch noch überreden, denn auf unerwartete Comebacks ist der zweifache Tour-de-France-Etappensieger (2001/2006) ja inzwischen spezialisiert.
Abschiede - die sind bei Voigt so eine Sache. Eigentlich hatte er sich der 17-fache Tour-Starter vom Profiradsport vor dreieinhalb Wochen bei der Pro Challenge in Colorado/USA mit großem Tamtam verabschiedet. Doch im Anschluss machte er seinen seit Monaten geplanten - und geheim gehaltenen - Weltrekordplan publik.
Er übertraf bei seiner Triumphfahrt auf sibirischer Fichte in Grenchen sogar die eigenen Erwartungen: «Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell sein würde.» Voigt startete mit einer Riesenübersetzung von 55:14 schnell und fuhr von der siebten Runde an schon auf Rekordkurs. Bis Runde 68 baute er sich ein Zeitpolster auf und reduzierte dann sein Tempo kontrolliert.
«Die letzten 20 Minuten habe ich Vollgas gegeben», erklärte Voigt, der auch höchstes Lob von der Verbandsspitze erfuhr. «Das war der gelungene Abschluss einer großen Karriere. Jens Voigt hat bei seinem letzten Auftritt noch einmal viele Emotionen geweckt. Das wird in Erinnerung bleiben», erklärte BDR-Präsident Rudolf Scharping, der seinen Vize Udo Sprenger als Beobachter geschickt hatte.
Der Brite Brian Cookson, Chef des Radsport-Weltverbandes UCI, sprach von einer «magischen Stunde» und hofft jetzt auf viele Nachahmer, die das Interesse an dem seit 1893 geführten Rekord wieder beleben. Der Verband hatte dazu Vorarbeit geleistet und im Mai die Material-Restriktionen gelockert. Voigt durfte mit einer Spezialanfertigung auf der Basis der Straßen-Zeitfahrräder antreten. Sein Vorgänger Sosenka war 2005 mit einem Rad aus Merckx-Zeiten mit technischem Standard von 1972 unterwegs.
«Es war zu erwarten, dass er den Rekord bricht. Jetzt haben wir einen Richtwert», meinte der dreifache Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin, der das Projekt Stundenweltrekord «in den nächsten zwei Jahren» in Angriff nehmen will. Bei der am Sonntag im spanischen Ponferrada beginnenden WM peilt er als erster Radprofi den vierten Titelgewinn in Serie an.