Berlin (dpa) - Karriereende - ein höchst komplizierter Begriff in Zusammenhang mit dem Namen Jens Voigt. Der Radprofi aus Berlin, seit 17 Jahren im Geschäft, steht ab 29. Juni vor seiner 16. Tour-de-France-Teilnahme.
«Offiziell ist noch nichts - aber ich gehe von einem Tourstart aus», sagte der 41-Jährige der Nachrichtenagentur dpa. Die Team-Nominierung soll nach der Tour de Suisse erfolgen, bei der Voigt gerade um ein Haar seinen zweiten Saisonsieg perfekt gemacht hätte. In der Bestenliste der Tour-de-France-Treuen läge er dann hinter dem nicht mehr aktiven George Hincapie (USA/17 Teilnahmen) an zweiter Stelle. Bei 15 Tour-Starts erreichte Voigt das Ziel in Paris zwölfmal.
Jens Voigt wird am 17. September 42 Jahre alt. Ist es diesmal nun die letzte Tour? «Schwer zu sagen, aber es sieht wohl so aus», sagte der RadioShack-Trek-Fahrer, der im nächsten Jahr der Branche auf jeden Fall weiter treubleiben wird. «Wahrscheinlich als Fahrer. Aber ich ändere zehnmal am Tag meine Meinung, vielleicht wechsele ich auch ins Management», erklärte der gebürtige Mecklenburger.
Sein eventuell letzter Auftritt bei der Sommer-Show in Frankreich könnte dem in der Szene hoch geschätzten Marathonmann ungeahnte Freiheiten in seinem Team geben, das nach dem Ausstieg des Sponsors Flavio Becca 2014 ein anderes Gesicht haben wird. «Wir haben nicht den Kapitän, der alle an die Wand knallt. Deshalb gehen wir mit einer offenen Strategie in die Etappen», erklärte Voigt und bereitet sich gedanklich schon auf seine Bestimmung als Rennfahrer vor.
Der Renn-Senior gilt als bedingungsloser Angreifer. Am Dienstag hatte er bei der Tour-Generalprobe in der Schweiz wieder einmal auf seinem Spezialgebiet geübt. Seine Attacke auf der 4. Etappe wurde nach 170 Kilometern Alleinfahrt erst 1000 Meter vor dem Ziel gestoppt. Allein im Wind oder in Ausreißergruppen fühlte er sich immer am wohlsten. Zweimal kam Voigt so zu seinen größten Tour-Erfolgen, den Etappensiegen 2001 und 2006. Ebenfalls zweimal trug er das Gelbe Trikot des Gesamtführenden (2001 und 2005).
Im Rückblick auf seine besonderen Frankreich-Erfahrungen bleiben die persönlichen Erfolge - vor allem aber das Jahr 2008. «Ein Stück vom Gelben Trikot unseres Kapitäns Carlos Sastre gehört auch mir», sagte Voigt vor der Tour 2012 in Erinnerung an den Tour-Sieg des Spaniers.
Vor allem der folgenschwere Sturz bei der Abfahrt vom kleinen Sankt Bernhard 2009, der mit einem Jochbeinbruch, weiteren Verletzungen und der Tour-Aufgabe endete, zählt Voigt zu seinen unbedingt verzichtbaren Tour-Erfahrungen. Dazu zählt auch der große Doping-Skandal in seinem zweiten Profijahr 1998. Zumindest Mitwisser-Vorwürfe, die etwa von den Doping-Kronzeugen Tyler Hamilton oder Jörg Jaksche kamen, kontert der altgediente Voigt. Doping-Praktiken einzelner Fahrer in seinen Teams sei nie Thema von Gesprächen untereinander gewesen.
Dass er sportlich noch mithalten kann, hatte Voigt vor seiner glücklosen Attacke bei der Tour de Suisse zuletzt mit seinem Etappensieg in Avila Beach im Mai bei der Kalifornien-Rundfahrt bewiesen. Danach twitterte er: «Alter ist nur eine Zahl».