Stuttgart (dpa) - Ausgerechnet die Weltmeisterschaften im eigenen Land haben den deutschen Bahnradsport an seinen Tiefpunkt geführt und den Bund Deutscher Radfahrer (BDR) unter Druck gesetzt. Der Anspruch von acht Medaillen erwies sich für die Titelkämpfe in Stuttgart als zu hoch und zwingt den Verband gut ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Athen zu schnellem Handeln.
«Das Ziel ist weit verfehlt. Das ist eine Situation, die wir erstmal verkraften und analysieren müssen», bilanzierte Sportdirektor Burckhard Bremer ernüchtert. Vor diesem Hintergrund und angesichts der imageschädigenden Affäre um den Vierer geriet es völlig zu Nebensache, dass die binnen drei Monaten aus dem Boden gestampfte WM tadellos organisiert war.
Schon in der kommenden Woche trifft sich das BDR-Präsidium in Frankfurt/Main zu einer Krisensitzung. Auf dem Programm stehen die Aufarbeitung des schwachen Abschneidens und der Vierer-Boykott. «Wir machen eine Analyse und werden sehen, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind», sagte BDR-Präsidentin Sylvia Schenk. Und Bremer fügte an: «Wir müssen die negative Geschichte aufarbeiten.»
Nach Aussage der Verbandschefin sollen dort auch noch einmal die vier Meuterer Jens Lehmann (Leipzig), Daniel Becke (Erfurt), Sebastian Siegler (Gera) und der inzwischen reumütige Christian Bach (Erfurt) zu Wort kommen. Personelle Konsequenzen im Verband sind jedoch nicht zu erwarten. «Die Leistungsfähigkeit der Verfolger steht nicht zur Diskussion. Deshalb muss auch nicht über Bundestrainer Bernd Dittert diskutiert werden. Ich gehe davon aus, dass wir nicht über Entlassungen im Trainerstab reden. Im Moment steht auch nicht zur Debatte, dass ich persönlich zurücktrete», erklärte Bremer.
Der BDR kann sich derzeit einen Umbruch nicht leisten. Die WM Ende Mai 2004 in Melbourne ist die einzige Möglichkeit, Startplätze für die Olympischen Spiele einzufahren. Schon ab Januar müssen in den Weltcups die Qualifikationen in den einzelnen Disziplinen für die WM gesichert werden. «Die Zeit bis Januar ist knapp. Wir müssen mit allen guten Fahrern zur WM», sagte der Sportdirektor.
Dass die vier abtrünnigen Verfolger dazu gehören, scheint ausgeschlossen. Die BDR-Präsidentin kündigte einen Neuaufbau des Vierers an. Sicher ist hingegen, dass die in die Kritik geratenen Nominierungskriterien verändert werden. «Wir werden über die Kriterien und vor allem ihre Darstellung reden. Wir werden sie hieb- und stichfest formulieren, so dass sie auch rechtlich abgesichert sind», erklärte Bremer.
Noch bevor die Querelen um die Verfolger außer Kontrolle gerieten, hatte Stefan Nimke Gold im 1000-m-Zeitfahren geholt. Die zweite Medaille für den BDR gewann Rene Wolff aus Erfurt durch seinen dritten Platz im Sprint. «Es ist klar, dass uns die Vorkommnisse mit dem Vierer nicht kalt lassen», sagte Rene Wolff. Damit legte er den Finger in eine offensichtliche Wunde. «So eine Situation, wie sie hier aufgetreten, ist in der Welt einmalig. Das wird sicher in der Psyche der Sportler Spuren hinterlassen haben», urteilte Bremer.