Angers (dpa) - Zwei Gesetzmäßigkeiten bestimmen die 91. Tour de France: Schlechtes Wetter und Stürze. 102 der in Lüttich gestarteten 189 Fahrer waren nach acht Etappen Sturz-Opfer.
Auf der 7. Etappe hatte es den Schweizer Sven Montgomery vom Gerolsteiner-Team am heftigsten erwischt, auf dem 8. Teilstück den Franzosen Samuel Dumoulin. Montgomery, noch angeschlagen aus dem Giro, brach sich das Schlüsselbein. Sein Team-Kollege Réné Haselbacher hatte am Ende der 6. Etappe den Massensturz auf der Zielgeraden von Angers ausgelöst, der 150 Fahrer angeschlagen zurück ließ oder zum Stoppen zwang. 13 Fahrer fehlten bei der 8. Etappe am Start, darunter die angeschlagene italienische Sprint-Elite mit Mario Cipollini und dem Weltranglisten-Spitzenreiter Alessandro Petacchi.
Weiter im Rennen sind der Amerikaner Tyler Hamilton, der im Vorjahr mit einem angebrochenen Schlüsselbein knapp drei Wochen weiter und in Paris auf Rang vier fuhr, und der besonders Verletzungs-Erfahrene Rolf Aldag. Laut Teamarzt Lothar Heinrich klagt der Westfale über «Prellungen am ganzen Körper». Mitfavorit Hamilton stürzte auf den Rücken. Kaum der Rede wert im harten Tour-Alltag: Matthias Kessler fährt mit einer angebrochenen Rippe und der Berliner Jens Voigt stürzte am Chaos-Tag in Angers auf den Kopf. «Nichts passiert», gab er schnell selbst Entwarnung.
«Der Druck von Sponsoren und Teamleitung wird immer größer, weil das Geld eine immer größere Rolle spielt. Die Tour ist die größte internationale Bühne des Radsports und nur dort bietet sich für viele die Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen. Manche tun das ohne Rücksicht auf Verluste», nannte Fernseh-Kommentator Jens Heppner als Insider und ehemaliger Tour-Etappensieger einige Gründe für das erhöhte Risiko. Unglückliche Streckenplanungen, die Vorliebe der Franzosen für Kreisverkehre, glatte Straßen durch Dauerregen - oder wie kurz vor dem Ende der 8. Etappe ein über die Straße laufender Hund - können weitere Gründe sein. Dabei stürzte auch Uwe Peschel vom Unglücksteam Gerolsteiner.
Der durch Haselbacher ausgelöste Massensturz in Angers sorgte für heftige Kontroversen und böses Blut. Der darin verwickelte Australier Robbie McEwen soll den blutend und benommen am Boden liegenden Österreicher des Gerolsteiner-Teams «übel beschimpft und mit der Faust bedroht» hoben. Teamchef Hans-Michael Holczer war Ohrenzeuge und beschritt umgehend den Beschwerdeweg.
«Ich habe die skandalösen Vorkommnisse McEwens Mannschaftsführung von Lotto und den Tour-Veranstaltern mitgeteilt. Wer seinen niederen Instinkten so freien Lauf lässt wie McEwen, gehört nach Hause geschickt», sagte Holczer, als er die Intensivstation des Krankenhauses verließ. Sein Fahrer, der bereits die vergangene Tour nach einem Sturz aufgeben musste, erlitt einen doppelten Bruch dreier Rippen und eine Nasenbein-Fraktur. Holczer: «Am Sonntag sind die Schmerzen stärker geworden, wahrscheinlich kann er erst am Dienstag nach Hause transportiert werden.»
Ein gebrochener Lenker sei Auslöser des Sturzes gewesen. Unter den dadurch aufgehaltenen Fahrern befanden sich auch die Tour-Favoriten Lance Armstrong und Jan Ullrich. Allerdings büßten sie trotz erheblicher Verspätung im Ziel keine Zeit ein, weil ihr Rückstand in Folge eines Sturzes innerhalb der 1000-Meter-Marke zu Stande kam. «150 Fahrer sind mit 60 Stundenkilometern losgeschossen - völlig verrückt», berichtete Armstrong, der bereits nach 14 Kilometern in einen Sturz verwickelt war, bei dem er leichte Blessuren am Knie und an der Hüfte erlitt. «Ich hatte großes Glück und konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen», sagte Ullrich, der bei der bisher so unfallträchtigen Tour noch unbeschadet blieb.
«McEwen gehört schon lange nach Hause geschickt. Der stößt beim Endspurt mit den Ellenbogen und arbeitet mit den Händen», ereiferte sich Phonak-Sportdirektor Alvaro Pino. Der angefeindete Etappensieger von Namur verlor zwar sein Grünes Trikot, verletzte sich am Oberschenkel und Arm, ist aber weiter im Rennen.