Berlin (dpa) - Rechtsanwalt Dirk-Reiner Martens hat im Auftrag des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) über 2000 Seiten Akten des Bundeskriminalamtes (BKA) über den Radprofi Jan Ullrich gesichtet und bewertet.
Das bestätigte der renommierte Münchner Sportrechtler der Deutschen Presse-Agentur dpa. «Meine Beurteilung liegt dem IOC vor», sagte Martens. Einer öffentlichen Wertung enthielt er sich. Allerdings deutete IOC-Präsident Jacques Rogge in einem Interview der Zeitung «Die Welt» an, dass Sanktionen gegen den Gold- und Silbermedaillengewinner von Sydney unwahrscheinlich sind. Spätestens vor der IOC-Vollversammlung Anfang Februar 2010 in Vancouver vor den Olympischen Winterspielen will die Disziplinarkommission die übersetzten BKA-Akten studieren, die dem IOC seit 29. September vorliegen.
«Ein erstes Querlesen» der Unterlagen, aus denen auch schon «Der Spiegel» zitierte, habe laut Rogge ergeben, «dass wir noch keine Spuren wirklich harter belastender Beweise haben. Es ist ein wenig so wie im Fall von Lance Armstrong. Wir verfügen hier über kein Dokument des unumstößlichen Beweises von Doping.» Zumal sich die Erkenntnisse des BKA auf einen Zeitraum nach den Spielen 2000 in Sydney beziehen, wie Martens auch noch einmal deutlich machte. Bei seinem Olympia-Start 2004 in Athen blieb der ehemalige Telekom- und T-Mobile-Star Ullrich weit hinter seinen Erwartungen zurück und verfehlte die Medaillenränge deutlich.
Die Bonner Staatsanwaltschaft hatte ermittelt, dass sich Ullrich von 2003 bis 2006 insgesamt 24 Mal in Madrid zu Behandlungen beim mutmaßlichen spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes aufgehalten hat. Allein zwischen Februar 2005 und Mai 2006 soll der Sieger der Tour de France von 1997, seit zwei Jahren nicht mehr aktiv, achtmal heimlich nach Madrid geflogen sein. Die illegalen Treffen soll der ehemalige Teamchef und Ullrich-Intimus Rudy Pevenage organisiert haben.
Die Staatsanwaltschaft hatte seit 2006 wegen des Verdachts des Betrugs ermittelt und stellte das Verfahren im März 2008 gegen Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 250 000 Euro ein. «Zusammenfassend kann festgehalten werden», hieß es laut «Spiegel» in der Akte, «dass der Beschuldigte Ullrich das Dopingsystem des spanischen Arztes Dr. Fuentes nutzte, um sich vertragswidrig mit leistungssteigernden Mitteln und Methoden auf seine Wettkämpfe vorzubereiten.» Ullrich äußerte sich bei der Staatsanwaltschaft zu den Vorwürfen nicht.
Rogge konstatierte in dem Zeitungs-Interview zwar die Tatsache, dass «der Radsport ein Doping-Problem hat», daran gebe es «keinen Zweifel». Früher habe es laut Rogge im Weltverband UCI «eine Kultur gegeben, die heute der Vergangenheit angehört». Weil die Dachorganisation den Kampf gegen Doping jetzt ernst nehme «werden wir sie weiter unterstützen». Eine Gefahr für die weitere olympische Existenz des Radsports bestehe nicht.