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12.10.2002 12:35
Italien im Cipollini-Taumel

Zolder (dpa) - Mario Cipollini soll Italien erlösen. Zehn Jahre ohne Weltmeistertitel - das ist für die Radsport-verrückten Tifosi zu viel. Und der Exzentriker aus der Toskana verspricht ihnen auf dem Hochgeschwindigkeits-Kurs von Zolder, auf dem schon der Nachwuchs einen Schnitt von über 46 km/h fuhr, den Titel.

«Ich bin der Superfavorit. Bisher bin ich nur Super-Mario. Ab Sonntag werde ich zum Campionissimo. Die U23-Rennen haben gezeigt, dass es einen Massensprint geben wird und da bin ich nicht zu schlagen», verkündete Cipollini, der im Alter von 35 Jahren sein WM-Debüt feiert, und ließ dabei wie üblich jegliche Zurückhaltung vermissen.

Sein erster Start bei einer Weltmeisterschaft soll der Höhepunkt einer fein ausgeklügelten Inszenierung und das I-Tüpfelchen auf die bisher schon erfolgreichste Saison seiner Karriere werden. Der erste Sieg im März bei Mailand-San-Remo, wo Cipollini Erik Zabel hinderte, zum fünften Mal erfolgreich zu sein, war nur das Vorspiel. Es folgten der sehr eindrucksvolle Erfolg auf belgischem Boden beim Frühjahrs- Klassiker Gent-Wevelgem und sechs Etappensiege beim Giro d'Italia. Der im Juli verkündete Rücktritt, der die Konkurrenz und vielleicht auch die eifrigen einheimischen Doping-Fahnder verwirren sollte, bildete den vorläufigen Kulminationspunkt.

Cipollinis Rückzieher überraschte die wenigsten. Zabel hatte schon bei der Tour de France keinen Gedanken daran verschwendet, dass der in seiner Karriere bisher 180-mal erfolgreiche Riese aus der Toskana in Zolder wirklich fehlen könnte. Seinen erfolgreichen WM-Aufbau brach Cipollini im Vormonat nach drei Etappensiegen bei der Vuelta ab. Zabel hatte bei den Massensprints in Spanien gegen den Aqua e Sapone-Kapitän und seine Mannschaft, in dem sein Ex-Team-Kollege Giovanni Lombardi der treueste Cipollini-Vasall ist, nie eine Chance. Der ehemalige Telekom-Profi organisierte auch die WM-Unterkunft der italienischen Elite-Fahrer bei einem befreundeten Hotelier.

Das größte Handicap der Italiener in den vergangenen zehn Jahren - mangelnder Teamgeist - soll Cipollini keinen Strich durch die Rechnung machen. An den ebenfalls spurtstarken Alessandro Petacchi aus dem Konkurrenz-Team Fassa Bortolo richtete Cipollini via italienischer Presse eine deutliche Warnung: «Alessandro ist schlau. Er wird sich vor Millionen von italienischen Fernseh-Zuschauern keine Illoyalität leisten.» Ein weiterer Kandidat aus den eigenen Reihen, Paolo Bettini (Mapei), im Vorjahr Vize-Weltmeister, kündigte an: «Wenn das Feld 60 Kilometer vor dem Ziel noch zusammen ist, fahre ich hundertprozentig für Cipollini.»

Als Lohn für einen Weltmeistertitel winkt jedem im zwölfköpfigen Team ein 50 000 Euro-Scheck, für den Cipollini bei Vollzug in Zolder den größten Teil sicher selbst beisteuern müsste. Dabei steht seine Zukunft noch nicht auf soliden Füßen, weil er immer noch nach einem zahlungskräftigen Team für 2003 sucht. Sein bisheriger Arbeitgeber Aqua e Sapone macht Schluss. Verhandlungen mit Renault ziehen sich in die Länge und sein angeblich geplanter Umzug ins Team Marco Pantanis erscheint wenig realistisch. Der erste italienische WM-Titel nach Gianni Bugno (1992) könnte die Arbeitsplatz-Suche enorm erleichtern.


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