Cascina (dpa) - Augen zu und durch - die Radprofis des Astana-Teams wollen derzeit abseits der Rennen an der französischen Riviera und italienischen Adria-Küste anscheinend nichts mitbekommen. Bloß keinen Gedanken an das schwebende Lizenzentzugsverfahren verschwenden.
«Wir konzentrieren uns auf das Rennen hier», sagte Astana-Profi Andrej Grivko im italienischen Cascina und verschwand im Bus. Auch Team-Kapitän und Tour-Sieger Vincenzo Nibali gab sich ungerührt. «Ich bin hier, um Schritt für Schritt meine Form aufzubauen. Ich mache mir keinen Druck», sagte der Italiener bei der Fernfahrt Tirreno-Adriatico der Deutschen Presse-Agentur.
Das wieder aufgenommene Verfahren für die WorldTour-Lizenz bezeichnete er schon in der Vorwoche als «politisch motiviert». «Das hat mit uns Fahrern gar nichts zu tun», meinte Nibali. Das ist nicht korrekt. Die fünf Dopingfälle von Astana-Fahrern im vergangenen Jahr haben die offensichtlich tief sitzende Doping-Mentalität im Herrschaftsbereich des ehemaligen Blutdopers und aktuellen Teamchefs Alexander Winokurow offenbart.
Der einstige Telekom-Star ist die Schlüsselfigur. Er fiel italienischen Polizeiermittlern als Kunde des Dopingarztes Michele Ferrari auf. Das klassische Betreuungspaket von Ferrari umfasste neben einem Dopingprogramm auch Steuersparmodelle, aus denen dann wiederum das Doping teilfinanziert werden konnte. Diese Absprachen könnten Winokurow und seinem Rennstall nun das Genick brechen.
Der Weltradsportverband UCI ist überzeugt, jetzt bessere Karten zu haben als im Fall des Katusha-Teams vor zwei Jahren. Nach dem Lizenzentzug unter anderem wegen der Kooperation mit Ferrari hatte die russische Mannschaft 2013 mit Erfolg vor dem Sportgerichtshof CAS geklagt.
Den gleichen Weg könnte Astana nun beschreiten. Bis zum 20. März hat das Team Zeit, entlastendes Material vorzulegen. Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, kann Astana vorerst weiterhin an Rennen teilnehmen. Spannend wird es für die am 4. Juli beginnende Tour de France. Titelverteidiger Nibali hofft im Notfall auf eine Wildcard des Veranstalters ASO.
Bei dieser Gemengelage ist es fast verständlich, dass Nibali keine Zeit zum Studium des zu Wochenbeginn vorgelegten CIRC-Berichts der UCI-Reformkommission hatte.
Rennstallbesitzer Oleg Tinkov, Chef des einschlägig bekannten Alberto Contador bei Tinkoff-Saxo, darf man damit überhaupt nicht kommen. In gewohnt bärbeißigem Ton erklärte der Russe: «So einen Scheiß lese ich nicht. Da lese ich lieber Mark Twain.»
Der Rostocker LottoNL-Jumbo-Profi Paul Martens begrüßte den aufschlussreichen Report. «Wir können froh darüber sein, auch dass man bereit ist, ein so graues Bild zu veröffentlichen», meinte er. Martens zeigte sich erschüttert über die im Bericht konstatierte weiterhin hohe Doping-Intensität im Feld: «Ich habe ein anderes Bild und dachte, dass der Radsport auf einem besseren Weg ist.» Der aktuelle EPO-Dopingfall des Franzosen Lloyd Mondory bestätigt die Einschätzung der Kommission. Er war vor dem Tirreno-Start ausgeschlossen worden.