Glasgow (dpa) - Modell für die Zukunft oder Rohrkrepierer? Von den Athleten wird das Pilot-Projekt der European Championships bei der Premiere zumindest in Glasgow einhellig begrüßt.
«Das ist eine tolle Idee, weil sie den Fokus vom Fußball auf die anderen Sportarten lenkt», sagte Turn-Weltmeisterin Pauline Schäfer. Miriam Welte, die Bahnrad-Olympiasiegerin, brachte die Zustimmung der Sportler auf den Punkt: «Wir haben alle davon profitiert.»
Durch den Erfolg von Klein-Olympia mit zeitgleich ausgetragenen Europameisterschaften in sieben Sportarten in Berlin und Glasgow sehen sich die Erfinder bestätigt. «Wir sind sehr erfreut, dass dieses Projekt so großartig angenommen wurde», sagte Marc Jörg. Der Schweizer hatte mit dem Briten Paul Bristow die Premiere des Multi-Events vor sieben Jahren initiiert und stetig vorangetrieben.
Es galt als Versuch, der immer größeren Dominanz des Fußballs im Fernsehen eine Alternative entgegen zu setzen. «Die TV-Maßstäbe sind in allen übertragenden Ländern übertroffen worden. Es gab eine klare Vermehrfachung der Zuschauerzahlen im Vergleich zu früheren EM», sagte Co-Geschäftsführer Jörg der Deutschen Presse-Agentur. Die Quoten belegen das: Durchschnittlich 4,50 Millionen Menschen oder mehr sahen die Übertragungen bei ARD und ZDF von der Leichtathletik, die Marktanteile liegen deutlich über dem Schnitt beider Sender.
Das gilt auch für Übertragungen aus Glasgow. Am Donnerstag schauten 2,81 Millionen die TV-Sendung vom Schwimmen. Aber auch ansonsten weniger populäre Sportarten fanden ihr Publikum. So schalteten 1,95 Millionen Menschen die 75-minütige Übertragung vom Wasserspringen ein. «Das sind Zahlen, die wir sonst nicht erreichen. Daher denke ich, dass dieses Format fantastisch ist», sagte Schwimm-Coach Henning Lambertz. «So ein Mini-Olympia macht einfach Spaß.»
In Schottlands Metropole strömten die Sportfans zu Zehntausenden in die Arenen: Im Sir-Chris-Hoy-Velodrom, der Hydro-Arena der Turner und im Tollcross-Swimming Center blieben bei den Finals kaum Plätze frei. Insgesamt werden bis zum Sonntag weit über 400 000 Zuschauer die Titelkämpfe live verfolgt haben, den Löwenanteil verbucht Berlin mit rund 300 000 Besuchern bei der Leichtathletik-EM.
Vieles erinnerte in Glasgow an Olympische Spiele, die Organisation funktionierte reibungslos, das Sicherheitskonzept mit wenig öffentlicher Polizei-Präsenz ging auf. Der George Square im Herzen der Stadt war eine gern angenommene Begegnungsstätte. Doch wurde eines vermisst: «Was fehlt, ist ein Athletendorf, wo man sich mit Aktiven anderer Sportarten austauschen kann», sagte Turnerin Kim Bui.
Marc Jörg kann dies nachvollziehen. «Wir stehen erst am Anfang. In Zukunft kann man noch vieles besser machen», sagte der Schweizer.
«Unser Modell basiert darauf, nicht teure neue Bauten zu errichten. Wir müssen daher nach intelligenten Lösungen suchen», versprach er.
In vier Jahren sollen die nächsten European Championships stattfinden, dann will man auch dem Wunsch von Athleten nachkommen und die Spiele nur in einer Stadt organisieren. So war in Berlin von Synergien der Championate wenig zu spüren. «Ich bin aber der Meinung, dass die anderen durch die Leichtathletik-EM profitieren», sagte Kugelstoß-Ass Christina Schwanitz.
Die Macher kennen die Problematik der zwei Orte. Dennoch habe man den Eindruck, «als seien die traditionellen Sportarten neu entdeckt worden. Das war unsere Idee», erklärte Jörg. Er weiß, wie schwierig es war, die Terminkalender der Verbände unter einen Hut zu bringen.
Zu hoffen bleibt, dass dies dem Veranstalter in vier Jahren noch besser gelingt. Hamburg hat Interesse bekundet, und der Orga-Chef der Leichtathletik-EM, Clemens Prokop, brachte Berlin gleichfalls schon für die nächsten Championships 2022 ins Gespräch. Auf jeden Fall zwingt der Erfolg die Verbände, stärker über das Format nachzudenken.
Damit nicht Fehler eingestanden werden müssen, wie durch Ralf Holtmeyer, den leitenden Bundestrainer der Ruderer. «Ich denke schon, dass wir es verschlafen haben, die EM frühzeitig in unseren Wettkampfkalender aufzunehmen», hatte er eingeräumt.