Boulogne-sur-Mer (dpa) - Mark Cavendish war im Tour-Vorfeld oft auf Marcel Kittel angesprochen worden. Ob er, der Sprintdominator der vergangenen Jahre, denn vor dem deutschen Youngster zittere oder gar seine Vorherrschaft in Frankreich in Gefahr sehe, wurde er gefragt.
Da Cavendish aber nicht nur pfeilschnell, sondern auch ziemlich cool ist, antwortete er stets sinngemäß: Abwarten, die Etappen kommen erst. Schon am Montag ließ er den Worten Tagen folgen.
Während der Superstar von der Isle of Man dank eines cleveren Finishs seinen 21. Etappenerfolg beim wichtigsten Radrennen der Welt feierte, musste Kittel wegen starker Magenprobleme auf den Sprint in Tournai verzichten. Sechseinhalb Minuten hinter Cavendish rollte er sichtlich gezeichnet über die Ziellinie, nach der Dopingkontrolle wurde er sofort ins Teamhotel gefahren.
Kittels Lektion der ersten Tage: Bei der Tour de France darf man sich keine Schwäche leisten, und Erfahrung sowie Abgezocktheit zählen zuweilen mehr als schnelle Beine. «Ich bin schon sehr aufgeregt», hatte der sympathische Thüringer noch am Auftakttag in Lüttich zugegeben. Angesichts Hunderttausender Fans neben der Strecke im radsport-verrückten Belgien war das durchaus verständlich.
Vor der ersten reinen Sprinteretappe am Montag wurde ihm dann aber schlecht, wie er im Online-Tagebuch bei «cyclingmagazine.de» erzählte. Nach Rücksprache mit dem Mannschaftsarzt hatte er zunächst noch gehofft, «dass durch die Aufregung vielleicht etwas durcheinander geraten ist. Aber ich habe gleich gespürt, dass da mehr ist, denn ich habe eigentlich keinen nervösen Magen».
Auf der 3. Etappe am Dienstag sollte Kittel von seinem Team Argos-Shimano noch einmal geschont werden, der etwas wellige Kurs vor dem Ziel in Boulogne-sur-Mer komme ihm ohnehin nicht entgegen. Von Ausruhen konnte allerdings wieder keine Rede sein, der Rad-Youngster musste sich wieder ins Ziel kämpfen. Am Ende kam er 16:29 Minuten hinter dem Tagessieger in Ziel - als Vorletzter.
«Das ist so bitter und tragisch», sagte Kittels Teamkollege und ständiger Begleiter Roy Curvers. «Er hatte so eine gute Form...» Offenbar hat das Team erkannt, dem Shootingstar - der in diesem Jahr schon sieben Tagessiege gefeiert und auch Cavendish und André Greipel schon geschlagen hatte - Druck von den Schultern zu nehmen.
Mit Druck kann mittlerweile vor allem einer umgehen: Cavendish. Dass der Brite in diesem Jahr von seinem neuen Team Sky weniger Sprintunterstützung erhält als in den vergangenen Tour-Ausgaben von seiner damaligen Mannschaft, macht er mit Cleverness und perfektem Timing wett. In Tournai war er kurz vor dem Ziel noch an Greipel vorbeigezogen. «Die Tour de France entfacht immer wieder das Feuer in mir», twitterte der Sieger.
Olympia-Favorit Cavendish blieb auch nach dem Rennen souverän. Seinem ehemaligen Erzrivalen Greipel zollte der Familienvater bei Twitter Respekt: «André Greipel war so stark. Er wird noch einige Etappen gewinnen. Vertraut mir.»