Kirchzarten (rad-net) - In Kirchzarten hat sich eine Initiative zur Unterstützung des schwer verletzten und im Rollstuhl sitzenden Mountainbikers Benjamin Rudiger formiert. Die Sparkasse Hochschwarzwald, die Badische Staatsbrauerei Rothaus, die Organisation des Black Forest Ultra Bike-Marathons in Kirchzarten und wollen dem 31-Jährigen aus Kirchzarten die Rehabilitation in der Schweiz finanzieren. Auch die Schweizer Mountainbiker Nino Schurter und Thomas Frischknecht haben sich bereits für Rudiger eingesetzt.
Was passiert ist (I). Seit dem 10. Januar 2015 ist für Benjamin Rudiger nichts mehr wie es vorher war. Sein Leben hat seitdem eine völlig andere Richtung genommen. Für den Schwarzwald ungewöhnlich um diese Jahreszeit: es lag kein Schnee. So brach er mit seinem Mountainbike auf zu einer «handelsüblichen Feierabend-Tour», wie er es selber nennt. Dabei kam es bei einem harmlosen Bremsvorgang zu einem Sturz. Mit fatalen Folgen. Der siebte und achte Brustwirbel sind gebrochen.
Die Notfall-Versorgung verlief reibungslos. «Bis zur OP-Kante ging alles superschnell», sagt Benjamin Rudiger über die ersten Stunden. Es folgte zwei Tage später der Transfer in die BG-Unfallklinik nach Tübingen zur Akut-Rehabilitation. Später wechselte Benjamin Rudiger noch für drei Wochen nach Murnau in eine andere Klinik. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt zuhause, setzte er die Rehabilitation in Nottwil fort.
Was mit ihm passiert ist. Das sind die nackten Daten. Was dahinter steckt, welche psychischen Tiefen ein Mensch nach einem solchen Schlag aushalten muss, das mag man sich gar nicht ausmalen. «Ich hatte Phasen, in denen ich keinen Bock mehr hatte, aber ich bin trotzdem ein lebensbejahender Mensch. Es gab immer noch Leute um mich herum, denen es noch schlechter ging. Da gibt es Menschen, die können nicht mal mehr die Arme bewegen und selbst die kriegen das hin. Ich habe mir gesagt: du hast kein Recht aufzugeben», fasst Benjamin Rudiger seine Motivation zusammen. «Im Reha-Alltag habe ich erkannt: es geht irgendwie. Wenn man will. Und ich habe beschlossen, dass ich will.»
Rudiger hat ja bereits wirklich existenzielle Nöte erlebt, als bei ihm im Oktober 2006 Lymphdrüsenkrebs (Morbus Hodgkin) diagnostiziert wurde. Diese harte Prüfung bestand und überstand der zweimalige Deutsche U23-Meister auf dem Mountainbike, aber er im Leistungssport genügte er danach seinen eigenen Ansprüchen nicht mehr.
Er begann eine Ausbildung zum Bankkaufmann und setzte den Sparkassen-Betriebswirt noch drauf. Seiner Leidenschaft für Sport aller Art und für das Mountainbiken im Speziellen blieb er in seiner Freizeit treu.
Erst vergangenen Sommer initiierte er mit seinem Trainer und Freund Patrik Faller die Rothaus Bergradsport-Gruppe, eine Freizeit Mountainbike-Formation, die den Schwarzwälder Mountainbike-Lifestyle und die Freude am Sport transportieren wollte. Im Moment fällt es schwer unter diesem Titel in die Pedale zu treten, weil auch die anderen von dem Schicksal ihres Freundes schwer getroffen sind.
Die Aufgabe. Jetzt aber hat sich die Bergradsport-Gruppe eine neue Aufgabe gestellt: Der Aufenthalt in Nottwil ist teuer. Zwei Monate im besten Paraplegiker-Zentrum Europas kosten ungefähr 120.000 Euro. «Wir schaffen das», hat sich Rudigers Freundeskreis vorgenommen.
Dass es überhaupt zu einer Aufnahme in der renommierten Einrichtung kam, dafür haben sich auch der dreifache Weltmeister Nino Schurter und sein Teamchef, die MTB-Legende Thomas Frischknecht unter anderem mit einem Unterstützer-Brief stark gemacht.
Das Netzwerk. Ein Unterstützerkreis mit dem Titel «KameRADschaft ist sinnvoll» hat sich formiert. Mit an Bord: Benjamin Rudigers Arbeitgeber, die Sparkasse Hochschwarzwald, der Sponsor der Bergradsport-Gruppe: die Badische Staatsbrauerei Rothaus und das Organisationskomitee des Kirchzartener Black Forest Ultra Bike-Marathons, dem Benjamin Rudiger auch angehört.
«Benny genießt sehr große Wertschätzung in unserem Haus und alle haben großen Anteil daran genommen. Wir werden als Sparkasse seine Rehabilitation unterstützen und sein Arbeitsplatz bleibt frei, egal wie lange es dauert», erklärt Vorstandsvorsitzender Jochen Brachs.
Christian Rasch, Vorstand der Rothaus AG, will «unser starkes Netzwerk nutzen» und sieht «viele Ansätze» um Rudiger auf seinem Weg zu unterstützen. «Die Rothaus-Familie ist wahnsinnig betroffen, weil die Bergradsport-Gruppe ein Teil unserer Firmenfamilie ist. Ich bewundere den Mut, die Kraft und diesen Willen, den Benny in sich trägt, wieder ein normales Leben zu führen.»
Für das Ultra-Bike Orga-Team spricht Sebastian Eckmann von «extremer Anteilnahme», die er in Mountainbike-Kreisen erlebt hat. «Da war sofort Solidarität zu spüren. Wir setzen auf die Mountainbike-Gemeinde, die auch wirklich eine Gemeinde ist.»
Die Perspektive. «Extrem komisch“, sei das für ihn, in so einer Situation zu sein, Hilfe nötig zu haben. «Aber es ist wie es ist», sagt Benjamin Rudiger. Es wäre nicht er, wenn er nicht eine Perspektive über sich selbst hinaus entwickeln würde. «Es ist unglaublich, wie viele Leute sich für mich einsetzen. In Nottwil wird tolle Arbeit geleistet, aber es ist einfach so: das kostet Geld. Ich will größtmögliche Selbstständigkeit erreichen.»
Das aber ist ihm nicht genug. Schon nach seiner Krebserkrankung gründete er mit Doris Weiss gemeinsam den Verein Ride2Live zur Unterstützung von Krebs-Patienten. «Vielleicht können wir etwas Vergleichbares für Patienten mit Querschnittslähmung auf die Beine stellen. Ich kann im Moment nur 'Danke' sagen, aber ich will auf jeden Fall was zurückgeben, auch wenn ich das nie komplett schaffen werde», eröffnet Benjamin Rudiger eine Perspektive über seinen Person hinaus.
«Die 'KameRADschaft' soll keine Eintagsfliege sein», betont auch Patrik Faller. In der aktuellen Situation müsse für die Hilfe alles ziemlich schnell gehen, aber ein Verein wird in Kürze gegründet.