Vancouver (dpa) - Jan Ullrich darf sein Olympiagold von Sydney vorerst behalten. Im Aufklärungsmarathon gebe es bisher keine unumstößlichen Doping-Beweise gegen die gestürzte Rad-Ikone.
«Momentan können wir nichts machen. Der Fall liegt auf Eis», betonte Denis Oswald, Vorsitzender der Disziplinarkommission des IOC, in Vancouver. Die IOC-Exekutive hat den Fall noch nicht für abgeschlossen erklärt, aber nach ausgiebiger Akteneinsicht beziehen sich sämtliche Erkenntnisse in der Causa Ullrich erst auf einen Zeitraum nach 2000. Der ehemalige Radprofi der Teams Telekom und T- Mobile hatte bei den Sydney-Spielen Gold im Straßenrennen gewonnen.
Die Disziplinarkommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) analysierte die Akten der Staatsanwaltschaft in Bonn und den Untersuchungsbericht der Uni Freiburg - und studierte zudem die wenigen freigegeben Unterlagen der «Operación Puerto» des spanischen Doping-Arztes Eufemiano Fuentes. «Wir werde sicher eines Tages mehr wissen. Am ehesten sollte noch etwas aus Spanien kommen», meinte Oswald.
Ullrichs Sehnsucht nach Ruhe wird auch nach diesem Etappensieg im Dauerzwist mit dem IOC nicht befriedigt. Seine Gold- und Silbermedaille der Olympischen Spiele 2000 sind beschmutzt. Die Bonner Staatsanwaltschaft hatte gegen ihn seit 2006 wegen Verdachts des Betrugs ermittelt und festgehalten, dass sich Ullrich von 2003 bis 2006 insgesamt 24 Mal in Madrid zu Behandlungen bei Fuentes aufgehalten hat.
Allein zwischen Februar 2005 und Mai 2006 soll der Tour-Sieger von 1997 achtmal heimlich nach Madrid geflogen sein. Der damalige Teamchef und Ullrich-Intimus Rudy Pevenage soll die Treffen in der spanischen Hauptstadt organisiert haben.
«Unsere Ermittlungen über 21 Monate haben ergeben: Ullrich hat gedopt», hatte der zuständige Staatsanwalt Fred Apostel im April 2008 erklärt. Ullrich hat Doping stets bestritten. Im März 2008 war das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 250 000 Euro eingestellt worden.
Seit dem 29. September 2009 lagen die Bonner Akten auch dem IOC vor. Der renommierte Münchner Sportrechtler Dirk-Reiner Martens hatte im IOC-Auftrag mehr als 2000 Seiten gesichtet und bewertet. Oswald und Co. nahmen auch die Dokumente aus Freiburg unter die Lupe. Die Staatsanwaltschaft in Freiburg ermittelte im Dopingskandal rund um die Ärzte der Uniklinik Freiburg zwar nicht direkt gegen Ullrich, war aber an neuen Erkenntnisse im Fall des ehemaligen Radsport-Idols interessiert.
Das IOC will in der Causa Ullrich noch nicht aufgeben und hofft auf weitere Informationen über Fuentes aus Spanien. So oder so bleibt der 36-Jährige im Visier der Fahnder. In der Schweiz läuft noch ein Verfahren gegen ihn, und der Prozess vor dem Hamburger Oberlandesgericht gegen den Molekularbiologen Werner Franke wegen angeblicher Falschaussage des Wissenschaftlers ist ebenfalls weiter anhängig.