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Der springende Teufel, der deutsche Fan Didi Senft (r), feuert die Fahrer an.
16.07.2003 13:03
Zeitfahren als Gradmesser

Marseille (dpa) - Lance Armstrong weiß, was die Stunde geschlagen hat. Mit einem starken Auftritt im Rennen gegen die Uhr will sich der Amerikaner am Freitag endlich den beruhigenden Vorsprung verschaffen, der ihm nach der ersten Hälfte der 90. Tour de France etwas unerwartet fehlt.

«Das wird mein wichtigstes Einzelzeitfahren bei der Tour», sagt der Tour-Gewinner der vergangenen vier Jahre mit Blick auf die schweren 47 km von Gaillac nach Cap' Découverte. Nach dem Ruhetag folgt allerdings erst noch der Tagesabschnitt von Narbonne nach Toulouse.

Nach 10 der 20 Etappen muss Armstrong mehr bangen als ihm lieb ist, obwohl einige potenzielle Herausforderer aufgaben, nicht gesund sind oder sogar aus dem Sattel flogen. Am nächsten ist dem Hinterrad des Texaners zwar überraschend Telekom-Profi Alexander Winokurow, doch den meisten Respekt hat Armstrong weiter vor Jan Ullrich, der im Vergleich zu Winokurow als wesentlich besserer Zeitfahrer gilt.

«Ich habe eine sehr gute Ausgangsposition», sagt der auf Rang sechs liegende Ullrich und nannte damit seine persönliche Halbzeit-Bilanz, obwohl er bisher 2:10 Minuten auf Armstrong verloren hat. «Der Rückstand hält sich vor den Pyrenäen-Etappen in Grenzen, damit kann ich sehr zufrieden sein.» Der von Magenproblemen und Fieber genesene Tour-Sieger von 1997 darf im ersten der zwei Zeitfahren nicht erneut Zeit einbüßen. Ansonsten könnte Armstrong schon vor den drei Etappen über die Pyrenäen-Gipfel enteilt sein.

Winokurow rechnet mit einem Rückstand im Zeitfahren: «Wenn ich 1:30 Minuten verliere, ist das normal», sagte der nur 21 Sekunden zurückliegende Kasache, dem nach seinem Etappensieg der Regierungschef des Landes telefonisch gratulierte. Telekom-Teamchef Walter Godefroot hält sogar einen Abstand von 2:30 Minuten für normal und wertete Winokurows Einschätzung als Motivationsbeweis. Der Olympia-Zweite hält in den Pyrenäen sogar eine Allianz mit Ullrich für denkbar: «Er ist ein guter Freund.» Falls sich Winokurow so gut fühlen sollte wie in den Alpen, will er erneut angreifen.

Armstrong muss sich wie schon auf dem Weg nach L'Alpe d'Huez auch auf weitere Attacken der spanischen Kletterer einstellen. Der Favorit hatte in L'Alpe d'Huez darüber geschimpft und bemängelt, man habe die Chance versäumt, mit einem gemeinsamen Angriff Ullrich bereits entscheidend abzuhängen. Der dortige Tagessieger Iban Mayo, derzeit auf Platz drei, scheint keine echte Gefahr darzustellen.

«Ich bin erst einmal sehr zufrieden mit meinem Etappensieg», sagt Mayo und verweist darauf, dass er seit Saisonbeginn im März Rennen bestreitet. Bei der Tour-Generalprobe Dauphiné Libéré belegte der Baske den zweiten Platz, nachdem er im Einzelzeitfahren über 36 km die entscheidenden 85 Sekunden auf Sieger Armstrong eingebüßt hatte.

Warum Armstrong Ullrich fürchtet, zeigt ein Blick auf die übrige Konkurrenz. Der Vorjahres-Zweite Joseba Beloki liegt nach seinem schlimmen Sturz in einer Klinik im heimischen Baskenland. Giro-Sieger Gilberto Simoni ließ seinen vollmundigen Ankündigungen keine Taten folgen und liegt als 68. mit über 52 Minuten aussichtslos zurück. Simoni hat sich aber zum Weitermachen entschlossen.

Sein italienischer Landsmann und Ex-Giro-Gewinner Stefano Garzelli hatte ebenfalls keine Siegchance mehr und gab mit einem dicken Hals auf. Armstrongs Ex-Helfer Tyler Hamilton ist zwar Fünfter, quält sich aber auf bewundernswerte Weise mit seinem verletzten Schlüsselbein durch die Tour. Der im vergangenen Jahr viertplatzierte Kolumbianer Santiago Botero vom Team Telekom stellt nach seinem schwachen Start längst keine Gefahr mehr dar.

Die wohl größte Angst hat der Patron aus Texas vor Stürzen wie bei der Dauphiné Libéré und der 1. Tour-Etappe nach Meaux. Dem Schicksal von Beloki entging er kurz vor Gap nur dank seines waghalsigen Ausweichmanövers über ein Feld. Ullrich bewunderte die «unglaubliche Kaltblütigkeit» von Armstrong, doch der gestand seinen Schrecken ein: «Das hat mir gezeigt, dass in einer Sekunde alles vorbei sein kann.»


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